: Kopf- und Handarbeit gleich schützen
■ Bundesverfassungsgericht: Unterschiedliche Kündigungsfristen verletzen Gleichheitsgrundsatz
Karlsruhe (ap) - Unterschiedliche Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte sind mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes unvereinbar. Das hat gestern das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe entschieden. Die Richter setzten dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung der Kündigungsfristen bis zum 30. Juni 1993.
Ab sofort darf die als verfassungswidrig bewertete Kündigungsfrist für Arbeiter von den Arbeitsgerichten nicht mehr angewendet werden. Bisher darf Arbeitern nach Paragraph 622 des BGB mit einer Frist von 14 Tagen gekündigt werden, für Angestellte gilt eine Frist von sechs Wochen zum Quartalsende. Zwar gelten auch für Arbeiter nach mehrjähriger Beschäftigungsdauer längere Kündigungsfristen, sie bleiben jedoch gegenüber Angestellten benachteiligt. Für eine solche Ungleichbehandlung gibt es nach Auffassung des höchsten Gerichts keinen rechtfertigenden Grund.
Die Karlsruher Richter hielten zwar an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest, daß sich Arbeiter und Angestellte auch heute noch „hinreichend deutlich“ unterscheiden lassen. Der Gesetzgeber dürfe auch unterschiedliche Kündigungsfristen für verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern vorsehen. Eine solche Unterscheidung dürfe jedoch nicht pauschal an die Einstufung als Arbeiter oder Angestellter anknüpfen.
„Kopf- und Handarbeiter verdienen denselben Schutz bei Arbeitsplatzverlust“, hieß es in der Entscheidung. Längere Kündigungsfristen für Angestellte könnten weder mit einer „besonderen Angestelltenmentalität“ noch mit einer längeren vorberuflichen Ausbildung und damit kürzerer Lebensarbeitszeit gerechtfertigt werdern.
Die Frist wird dem Gesetzgeber gesetzt, weil die Arbeitsgerichte ab sofort alle anhängigen Verfahren, in denen es auf die Kündigungsfrist ankommt, aussetzen müssen, sofern die Parteien nicht einen Vergleich schließen. Werde die Frist nicht eingehalten, können die Arbeitsgerichte selbst „verfassungskonform“ entscheiden (Aktenzeichen: BVerfG 1 BvL 2/83).
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