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Konzeptionslose Gesundheitspolitik

■ Ostberliner Polikliniken vor dem Aus/ Ärztekammer, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Grüne kritisieren Senat

Berlin. Ostberliner PatientInnen finden »ihren« Doktor nicht mehr. Nach einjährigen Auseinandersetzungen um den Erhalt und die Weiterentwicklung der Ostberliner Polikliniken steht die Stadt gesundheitlich vor einem Scherbenhaufen. Die noch vor einem Jahr gut funktionierenden Kliniken lösen sich nach und nach auf, und die verbleibenden Beschäftigten werden entlassen.

Im Juni 1991 wurde der Umbau der Polikliniken zu regionalen Gesundheitszentren sowie die zusätzliche Bereitstellung von Geldern für Beratungszentren beschlossen. Dieser Beschluß des Parlaments wurde aber vom Senat nicht umgesetzt.

SPD, Bündnis 90/Grüne und die Berliner Ärztekammer haben Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) vorgeworfen, durch seine »widersprüchliche und halbherzige« Politik die Struktur der Polikliniken und Ambulatorien im Ostteil der Stadt weitgehend zerbrochen zu haben. Die Kammer und die SPD legten ein »Konzept zum Überleben der restlichen Polikliniken und staatlichen Arztpraxen« vor, die ihrer Meinung nach schnellstens in kommunale und frei-gemeinnützige Trägerschaft überführt werden sollten. Bündnis 90/Grüne meinten dazu, das Konzept sei »vernünftig«, lasse sich aber »nur gegen Senator Luther durchsetzen — am besten ohne ihn«.

Ärztekammerpräsident Ellis Huber sprach am Mittwoch von einem »dilettantischen und konzeptionslosen« Vorgehen Luthers, der sich »von einem radikalen Flügel der Westberliner Kassenärzte leiten ließ«. Die Kassenärztliche Vereinigung propagiere ausschließlich die freie Niederlassung der einst staatlich angestellten Ärzte. Laut einer Übersicht der Kammer seien in Ost- Berlin 20 der 21 Polikliniken und Fachabteilungen sowie eine größere Anzahl von staatlichen Arztpraxen wirtschaftlich überlebensfähig.

Der Senat will elf Polikliniken und Ambulatorien in eine staatliche Trägergesellschaft übernehmen. Kritisiert wurde von den Parteien und der Kammer, daß in ihnen nur Ärzte über 50 Jahre als Angestellte weiterarbeiten dürfen, die sich die Verschuldung zum Aufbau einer eigenen Praxis nicht mehr zutrauen. Die Altersgrenze sei »demotivierend« und »willkürlich«.

Aus dem Ostberliner ambulanten Gesundheitswesen ausscheidende Mitarbeiter können eine Überbrückungshilfe von maximal 9.000 Mark erhalten. Eine entsprechende Vereinbarung wurde gestern von Vertretern der Senatsverwaltung für Gesundheit und der Gewerkschaft ÖTV unterzeichnet. Von den 17.000 im Jahre 1989 im Ostberliner Gesundheitswesen Beschäftigten waren im Oktober vergangenen Jahres noch etwa 6.000 in Ambulatorien und Polikliniken tätig. Nach Angaben der Gesundheits-Senatsverwaltung werden es Mitte dieses Jahres noch 2.000 sein. taz/dpa

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