: Konzeptionell am Kuhteich
Kunst an Ausflugsorten – Teil 2: Gelbe Zitronenpressen und blaue Kochtöpfe aus Wachs: Moderne und anderes an der Unterelbe ■ Von Hajo Schiff
Nach über hundert Minuten Fahrt auf der Bundesstraße auf eine Landstraße abbiegen, dann auf eine Dorfstraße und noch einmal rechts ab auf einen Feldweg zu großen, offenen Kuhställen: Hier soll ein überregional bedeutendes Kunstzentrum sein? Das einzige vage Anzeichen ist der große Parkplatz vor den beiden strohgedeckten Fachwerkhäusern in Drochtersen-Hüll. Doch die gehören seit 1979 zu einem Bildungs- und Tagungszentrum. Die Kunst und die Musik spielt links daneben in der rot verbretterten Scheune mit den grünen Toren. Dort finden seit September 2000 ganzjährig Ausstellungen und Konzerte in hochprofessionellem Rahmen statt. Der neu ausgebaute Raum ist ein gewaltiger Fortschritt für die ambitionierten Betreiber des KunstRaums, Stefan Jensen und Manfred Strohm, die seit langem in den Tagungsbauern-häusern nebenan probiert hatten, aktuelle Kunst und modernste Musik mitten ins platte Kehdinger Land zu bringen.
Der selbst gesetzte Anspruch dabei hat gar nichts von der Gemütlichkeit der Landschaft ringsum: Da spielt Ende September ein Antwerpener Streichquartett einen Musikzyklus, den Matthias Pintscher zu Giacomettis Skulpturen komponiert hat, und im nächsten Jahr ist eine Uraufführung von Wolfgang Rihm geplant. Auch die bildende Kunst weiß sich auf hohem Niveau. Zur Zeit sind Ölbilder von Martin Conrad zu sehen: kontrastierte, unregelmäßige Farbfelder, die überlagert werden von verschränkten Zeichenbändern. „Der Malerei die Abstraktion nehmen, ohne sie literarisch zu machen, und dem Gegenstand die Form nehmen, damit er nicht anekdotisch wird“, sagt der Hamburger Künstler zu seinen in Farbelemente aufgelösten Bildern. Dieser Einzelpräsentation folgt in Zusammenarbeit mit dem Schloss Agathenburg im Herbst eine Themenausstellung zum Selbstporträt, und im Winter wird es um „Kunst und neue Medien“ gehen.
Über mangelnde Geldmittel kann in den Flächenstaaten offensichtlich nicht geklagt werden: Im Gegensatz zu den an der Kultur weiter sparenden Stadtstaaten gibt es aus Niedersachsens Hauptstadt hinreichende Mittel und dazu noch anderthalb Millionen Mark für einen Erweiterungsbau des KunstRaums in Drochtersen-Hüll, der 2003 fertig sein soll.
Der südliche Unterelberaum weist darüber hinaus erstaunliche viele Orte moderner Kunst auf. So befindet sich in Freiburg der Kunstverein Kehdingen und in Otterndorf bei Cuxhaven ein Museum gegenstandsfreier Kunst. Eine solche Spezialisierung auf die konkrete Farbmalerei ist sonst erst wieder weit im Süden, in Ulm zu finden.
Deutlich näher an Hamburg liegt Deinste. Auch dort wird man auf der Suche nach frischer Kunst fündig: Hinter dem Dorfteich im Zentrum liegt das Art Studio 1. Die vom ehemaligen Ingenieur Gerd Meier-Linnert im elften Jahr geführte Galerie hat sich ebenfalls auf konkrete und konzeptionelle Kunst spezialisiert. Zurzeit ist dort die 426-teilige Fotoarbeit Inventur (Küche) des Plastikers Dieter Froehlich zu sehen, einmal an der Wand und ein zweites Mal in einem eigens angefertigten Karteischrank.
Der Kunstprofessor aus Hannover hat zur EXPO letztes Jahr 23 Mal ein wöchentliches Sammelbild in der Zeitung veröffentlicht, forscht nach dem Irrtum um Tatlins Seifenschale und ist in Theorie und Praxis von der Kochkunst fasziniert. Er dokumentiert nicht nur seine Küche im Foto, sondern formt auch gelbe Zitronenpressen und blaue Kochtöpfe aus Wachs, sammelt alte Rezepte und gibt zu besonderen Anlässen Kostproben seiner Zubereitungen.
KunstRaum Bauernreihe 1, 21706 Drochtersen-Hüll; Mi - Sa 16 - 21 Uhr, So 11 - 18 Uhr; „Martin Conrad - Neue Bilder“ bis 16. September; Tel 04775-8249; nächste Bahnstation: Hemmoor.
Art Studio 1, Am Schafsteich 1, 21717 Deinste; Di - Sa 14 - 18 Uhr; Dieter Froehlich - Inventur.(Küche) bis 29. September; Tel 04149-933632; www.artstudio1.de; nächste Bahnstation: Horneburg.
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