Kontext:Wochenzeitung feiert 11-Jähriges: Elf Jahre Wirkungsjournalismus

Unabhängige Bürgermedien mit regionaler Ausrichtung bleiben als demokratisches Korrektiv relevant.

Steht mittlerweile im Museum: der alte Hauptbahnhof Stuttgart Foto: dpa | Julian Rettig

Von PETER UNFRIED

taz Info, 04.06.22 |Fragt man Josef-Otto Freudenreich, ob er nach elf Jahren Kontext:Wochenzeitung seine sehr hohen Ansprüche an Journalismus einigermaßen eingelöst sieht, dann überlegt er erst und sagt dann: „Wenn wir uns auf ‚einigermaßen‘ verständigen, dann ja.“ Weil ihm der Satz dann vielleicht doch etwas zu verhalten klingt für ein Jubiläum, schiebt er nach: „Ich hätte jedenfalls nicht erwartet, dass wir das schon elf Jahre schaffen.“

Es war die demokratische Notwendigkeit eines relevanten, unabhängigen Mediums für Baden-Württemberg, die den exzeptionellen Enthüllungsjournalisten und die heutige Chefredakteurin Susanne Stiefel sahen und die sie dazu brachte, zusammen mit ähnlich denkenden Journalisten im Frühjahr 2011 die qua Definition anzeigenfreie Wochenzeitung Kontext zu starten; mittwochs digital und samstags gedruckt als Teil der taz am Wochenende.

Herausforderung einer nachhaltig funktionierenden Ökonomie

Beide kamen aus Festanstellungen bei der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), dem früher mal sehr renommierten Platzhirsch im Großraum Stuttgart, der gerade wieder um etwa 50 Journalisten dünner wird und den Freudenreich auf dem „Gang zum Friedhof“ sieht.

Nun ist es auch für ein bürgergesellschaftliches Medium alles andere als einfach, eine nachhaltig funktionierende Ökonomie hinzubekommen, aber von Kontext hat man schon länger keine Klagen mehr gehört, die Zahl der Soli-Unterstützer beläuft sich auf etwa 1.500, darunter auch taz-Genossen, die unabhängigen Journalismus unterstützen, wo sie ihn finden und soweit es ihnen möglich ist.

Zwar wurde Kontext mitnichten als Blatt der Gegner oder gar Aktivisten des Wirtschaftsprojekts Stuttgart 21 gegründet, aber in einer regionalen Welt, in der Wirtschaftsunternehmen ihre Interessen mit Hilfe von CDU und Stuttgarter Zeitungen gegen die Gesellschaft durchdrückten, wurde die Notwendigkeit von aktiven Bürgergesellschaften und unabhängigen Bürgermedien überdeutlich.

Insiderwissen und Analysekraft

Nun hat sich viel in Baden-Württemberg geändert, aber es soll keiner glauben, dass die regierenden Grünen in der Villa Reitzenstein nicht regelmäßig über Kontext-Berichterstattung maulen. Das liegt speziell an der Landespolitik-Ikone Johanna Henkel-Waidhofer, die mit einer solitären Verbindung von Insiderwissen und Analysekraft in Kontext die großen Linien zieht – häufig, bevor die Beteiligten selbst sie wahrgenommen haben.

Kontext nennt seine Zielvorgabe „Wirkungsjournalismus“, und „gewisse Wirkung“ habe man schon erzielt, sagt Freudenreich.

Zum Beispiel, wenn das Edelkaufhaus Breuninger einen Betriebsrat kriegt, der den Namen verdient – nach scharfer Kritik an seinen Dumpinglöhen. Ob das zu bescheiden ist oder realistisch die Möglichkeiten auch von kritisch-fundiertem Journalismus beschreibt?

584 Ausgaben sind ein Grund zu feiern

Es sind auf jeden Fall dicke Bretter, die neue Medien zu bohren haben, in einer veränderten Welt der sich gegenseitig dynamisierenden Krisen, und Kontext ist dabei, das zu tun.

Weshalb es auch völlig angemessen ist, am 12. Juni im Stuttgarter Theaterhaus 11 Jahre (ein klassisches Corona-Jubiläum) und inzwischen 584 Ausgaben zu feiern. „Wir fangen gerade erst an“, versprechen Chefredakteurin Stiefel und ihr Team, „Lücken lässt das Stuttgarter Pressehaus ja immer mehr“. Wir werden sie beim Wort nehmen.

Peter Unfried, taz-Chefreporter und Chefredakteur des taz-FUTURZWEI-Magazins. Er macht für Kontext zusammen mit Zeichner Björn Dermann den Politcomic „Der Ökodiktator“.