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Konsumkritik Dieses Buch wird gerade schwer bejubelt als energiegeladenes Pamphlet. Unser Autor sieht das ein bisschen anders. Jarett Kobek: „Ich hasse dieses Internet“Alles scheiße, kauft mein Buch

Leute wie sie, sagt Jarett Kobek, vertreiben die Freaks und Kreativen: Start-up-Unternehmer in San Francisco Foto: Natan Dvir/Polaris/laif

von Adrian Schulz

Dieser Text handelt von einem schlechten Roman. Dass er schlecht sei, behauptet der schlechte Roman, von dem dieser Text handelt, sogar selbst. Das macht ihn aber auch nicht besser.

Auch könnte man sagen, er sei nicht nur langweilig und dramaturgisch fragwürdig, sondern moralisch schlecht. Wenn Sie den schlechten Roman kaufen, von dem dieser Text handelt, machen Sie nur seinen Autor reicher. Denn am Ende ändert sich ja doch nichts. Sie wissen schon: am ganzen Scheißsystem und so.

Metakritik ist aber auch voll doof, weil man mit ihr jede Kritik kaputtmachen kann. Obwohl sie bei einem derart selbstreferenziellen und „Schaut her, ich hab recht“ schreienden Buch wie Jarett Kobeks „I Hate the Internet“ naheliegt.

Aber blenden wir das mal aus. Kobek, der schon einen Roman über Mohammed Atta geschrieben und in der kalifornischen Techszene gearbeitet hat, veröffentlicht ein Buch, das ebenjene zum Teufel wünscht – und das Scheißsystem gleich mit.

Sein Titel „I Hate the Internet“ wurde indes schlecht übersetzt: „Ich hasse dieses Internet“.

Das klingt nach schlechten Witzen: Schatz, ich habe dieses Internet gelöscht. Oder nach Kulturpessimismus: In diesem Internet geht es beängstigend wenig um Thomas Mann. Und um mich, den Großfeuilletonisten.

Dass er ein schlechter Roman ist, steht drin, muss so – als Gegenstück zum gemeinhin verfassten guten Roman. Der sei belanglos, meint Kobeks Erzähler, dazu da, die kulturelle Dominanz der Oberschicht zu bewahren, und hätte bei der Thematisierung dessen, was schiefläuft, versagt. Oder es erst gar nicht mitbekommen.

Was aus Erzählersicht dafür sorgt, dass das, was schiefläuft, schiefläuft: die Degradierung von Frauen zu Objekten männlicher Begierde, das fehlende Bewusstsein über die Verbrechen der Kolonialzeit, die fundamentale Ungleichheit, der noch immer grassierende Rassismus, Hass und Angst gegenüber Queeren, das ungerechte Wirtschaftssystem, der Aufstiegsmythos des American Dream, die Tristesse der Vorstädte, der Terror der Werbung, Fernsehen, das Twittern übers Fernsehen, Indigokinder (obwohl, nein, die kamen gut weg), die Folgenlosigkeit der Vergehen der Reichen, Deregulierung, die Aufwertung des Kapitals gegenüber der Arbeit, die Prekarisierung und Ausbeutung der Massen durch die Privilegierten, Hass und Angst im Internet, das Quälen von Ziegen durch Sekten, das Internet.

Kurz: alles scheiße. Ihr eigentlich auch, weil ich, Kobek, erst kommen und euch das aufschreiben musste. Mein schlechter Roman: „die einzige Lösung“.

Selbstverständlich hat er einen schlechten Stil. Das soll die aufmerksamkeitsdefizitäre Internetsprache nachbilden.

Kurze, einfache Sätze.

Gute Romane sind eh belanglos, meint der Erzähler, dazu da, die kulturelle Dominanz der Oberschicht zu bewahren

Häufige Absätze.

Sinnlose Listen. Diffusion und Chaos. Endlose Wiederholung. Der ständige Versuch, witzig zu sein. Das ständige Scheitern des ständigen Versuchs, witzig zu sein.

Internetkonzerne und Start-ups gentrifizieren in den Jahren 2013 und 2014, in denen die Handlung spielt, die einstige Freakoase San Francisco kaputt und vertreiben die Kreativen und Ausgegrenzten.

Ihr Erfolg basiere, ähnlich wie der der Comicbranche, auf Heeren billiger Arbeiter*innen und williger Konsumkonformist*innen, die für scheinbar kostenlose Dienste permanent Daten preisgäben und ohne Geld Inhalte produzierten, die zumeist jeglicher Ansprüche an die Intelligenz derer entbehrten, die sie rezipieren. Die Chefs seien dumme, verklemmte und selbstbesoffene Nerds, die, wie unermüdlich behauptet wird, (wirklich) schlechte Scifi- und Jugendbücher läsen, oder die Werke der libertären Pseudophilosophin Ayn Rand.

Genau wie alle anderen Figuren wirkt ihre Darstellung aber blutleer und blass. Das einzig Schlimme, was der Protagonistin Adeline, Comiczeichnerin und reiche Erbin, zustößt, die nach einem unbemerkt aufgezeichneten Vortrag, in dem sie Madonna und Beyoncé desavouiert, anfängt zu twittern, ist, dass sie anfängt zu twittern. Was ihr sogar Spaß macht, trotz Shitstorms und Beleidigungen. Sie steht über allem so drüber, dass es nervt.

Etwas mitnehmen tut sie dann doch, dass auch ihre Freund*innen wegziehen müssen, früher oder später. Für Christine ist das ein echtes Problem, da sie als Transsexuelle nicht überall auf ein gewaltfreies Leben hoffen kann.

Das Leben Ellen Flitcrafts, das einen separaten Handlungsstrang bildet, wird wegen ins Netz gestellter Sexbilder zur Hölle. Aber selbst das bleibt abstrakt.

Statt Spannung aufzubauen, werden mit enzyklopädischem Eifer und dem Impetus eines YouTube-Kommentators sämtliche Verfehlungen der weißen, männlichen, heterosexuellen Mittel- und Oberschicht (und aller anderen Bevölkerungsgruppen) rekonstruiert, gesammelt und geordnet.

Herauskommt digitaler Marxismus. Über die Massen der Geknechteten breiteten die Internetjünger einen Schleier aus Popstars, Pornos, Peergroup-Pressure: „Nichts zeugt so sehr von persönlicher Einzigartigkeit wie 500 Millionen von Sklaven zusammengebaute Elektrogeräte. Willkommen in der Hölle.“ Fortschritt, Demokratie, Weltverbesserung, Erlösung durch Technik – alles bloß geschickte, unkritisch übernommene Narrative. Ein Cover des Time Magazine von 2013, das im Buch abgebildet ist, wirkt geradezu grotesk: „Can Google solve death?“

Doch normale Menschen ohne Ruhm und Macht und Geld könnten dort kaum etwas bewirken – und seien in Wahrheit nur Vehikel zur Generierung von Werbeeinnahmen.

Wenn sie im Medium des Kritisierten erfolge, wirke Kritik kontraproduktiv. Die wahren Gegner*innen gerieten aus dem Blick: die Hoodie-Reichen des Silicon Valley zum Beispiel, die nach dem Prinzip „teile und herrsche“ potenziell endlosen Streit stifteten. Je emotional bedürftiger und hassvoller, desto besser: „Google verdiente Geld an Diskussionen darüber, ob Präsident Obama in der Hölle Schwänze lutschte, während er Amerika zugrunde richtete. Mit gelegentlich eingestreuten Kommentaren dazu, ob Schwarze %&$#?@e waren.“

Adeline twittert also auch über das N-Wort. Kobeks Alter-Ego-Figur im Buch wettert leidenschaftlich gegen „Sprachpolitik“. Zu Beginn des Buchs steht nicht umsonst eine (ironische) „Triggerwarnung“.

Aber was folgt aus dieser profunden wie polemischen Kritik? Revolution? Halluzinogene Drogen?

Lebkuchenverse wie: „Das Räderwerk des Kapitalismus kann man nicht aufhalten. Aber man kann das nervige Körnchen Sand im Getriebe sein.“ Wieder Eigenlob, diesmal durch die Alter-Ego-Figur: „Büchermenschen sind die Einzigen, die halbwegs interessant gegen das Internet angehen könnten!“ Und Pragmatismus: „Ihr müsst nur in jedem Browser einen Adblocker installieren!“

So ergibt auch die Übersetzung Sinn: „Ich hasse dieses Internet“ – ein anderes, ohne Werbung und böse Konzerne, das wär ja irgendwie voll dufte. Die Rückkehr zum verlorenen Ursprung.

Und dann? Was, wenn alle das Buch gelesen und tatsächlich Adblocker installiert haben, das Internet besser und Kobek etwas reicher ist als jetzt? Hier – haha, doch Metakritik! – bleibt seine sonst schonungslose, als Roman getarnte Analyse stehen.

Was folgt aus der Polemik? Revolution? Halluzinogene Drogen?

Doch dem Scheißsystem entgeht auch er nicht. Auf der Rückseite der deutschen Ausgabe steht sogar ein Hashtag, unter dem man über das Buch twittern kann. Was wohl ironisch sein soll – und es auch ist, nur eben anders als erhofft.

Also los, verändern Sie! Entrüsten Sie! Und kaufen Sie Konsumkritik! 350 Seiten Selbsterhebung! Welterklärung! Erlösung von dem Bösen!

Gönnen Sie sich hart. Aber vielleicht doch lieber halluzinogene Drogen.

Woher? Schauen Sie doch mal in diesem Internet.

Wo denn sonst?

Jarett Kobek: „Ich hasse dieses Internet“. Aus dem Amerikanischen von Eva Kemper. Fischer, Frankfurt a. M. 2016, 368 S., 20 Euro

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