: Komplexität im Kanal
■ Georg Klein liest heute im Literaturhaus
Für sein Romandebüt Libidissi erntete Georg Klein 1998 ungeteiltes Lob – dabei wusste keiner so recht, worum es eigentlich ging. Ähnliches gilt für den Erzählungsband Die Anrufung des blinden Fisches, mit dem der 1953 geborene Autor nun erneut zum Rätselraten lädt. Denn Klein nutzt das Kleinformat für eine umso größere Verunsicherung des Lesers.
Die Ich-Erzähler der zwölf Geschichten stecken allesamt in beruflichen Zwangsverhältnissen. Sie sind „Info-Designer“, Redakteure, Variété-Direktoren und Pornotexter, Gehetzte, die die Profession als Pression erfahren.
Der „Rohbilddeuter“ Smitt etwa filmt in Abwasserkanälen Videos, die ein „ameisenhaftes Zeichenwirrwarr“ zeigen, einen „Selbstlauf vorverständiger Systeme“. Wie Smitt, der im Rohrsystem verschwindet, ist auch Klein nur heimisch im geschlossenen Geflecht seiner Texte. Doch aus dem Wirrwarr schafft er imposante Formen.
Das gelingt zum einen durch Kleins Sprachfertigkeit: Die fein gedrechselten Wortfolgen voller Neologismen erzeugen eine geradezu lyrische Dichte – und bilden im Rahmen der begrenzten Ich-Perspektiven, stets im Präsens präsentiert, das ideale Formmaterial für die kafkaesken Mikrokosmen. Zum anderen ist Klein ein Meister des Mystifizierens: In den labyrinthisch angelegten Erzählgebilden wimmelt es von erratischen Namen und mythischen Symbolen, die die Texte zwischen kryptisch und kohärent, absurd und abstrakt oszillieren lässt.
Immer wieder offenbart diese komprimierte Komplexität überraschende Selbstbezüge. Etwa in der Erzählung „45:00“: In einer Kneipe schreibt der Erzähler übers Schreiben, und langsam offenbart sich die Vorgeschichte: Er hatte sich als Schriftsteller geoutet und wurde zu einer Wette genötigt, nämlich seine Profession in 45 Minuten unter Beweis zu stellen. Der Beleg ist der Text, den der Leser quasi im Entstehen vor Augen hat. Und der lässt Erzähler wie Autor die Wette gewinnen. Christian Schuldt
Literaturhaus, heute, 20 Uhr
Georg Klein, Anrufung des blinden Fisches, Erzählungen, Alexander Fest Verlag, Berlin 1999, 197 Seiten, 36 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen