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Komplettes Gemüse

Von Puristen gehaßt, vom Massenpublikum gewünscht: die Film-Synchronisation  ■ Von Karen Nickel und Ute Hübner

Auf einem der Privatkanäle war neulich folgender Dialog zu hören: „Wir wünschen Euch eine gute Zeit.“ – „Danke“, folgte als Antwort. Woraufhin der erste Sprecher erwiderte: „Ach, ihr seid willkommen.“ Moment, denkt da der aufmerksame Fernsehbetrachter, soll das etwa deutsch sein? Für Kenner der englischen Höflichkeitsfloskeln entpuppt sich spätestens bei der wortwörtlichen Übersetzung von „Oh, you're welcome“ diese Synchronisation als absoluter Fehlschlag.

Aber sie ist bei weitem kein Einzelfall. Da werden Leute schon mal als komplettes Gemüse bezeichnet – frei nach dem Englischen „He's a complete vegetable“, was soviel heißt wie: Er ist ziemlich alle im Hirn. Da werden amerikanische Donuts zu Schmalzgebäck oder Süßkringeln, und wenn's allzu kompliziert wird, werden schwierige Textpassagen des Originals schon mal arg verkürzt oder ganz weggelassen. Der deutsche Zuschauer wird's schon nicht merken, scheint sich manch einer der unzähligen Übersetzer, Drehbuchautoren und Regisseure im Synchrongewerbe zu denken.

Synchronisation ist in Deutschland eine veritable Industrie. 1992 waren 88 Prozent aller in Deutschland gezeigten Ur- und Erstaufführungen ausländische Produktionen, die zu 96 Prozent in synchronisierter Fassung auf den Markt kamen. Schon beliebt in der Nazi- Zeit, wurde das Synchronisieren im Nachkriegsdeutschland als eigenständige „Kunstform“ innerhalb der Filmindustrie perfektioniert. Der rasant wachsende Fernseh- und Videomarkt der letzten zehn Jahre hat allerdings zu einem merklichen Qualitätsverfall geführt. Während der Boomjahre von 1985 bis etwas 1990 mußten, so Michael Richter von der Deutschen Synchron Berlin, immer mehr Serien, immer mehr Filme möglichst schnell und möglichst billig synchronisiert werden. Unzählige kleine Küchen- und Wohnzimmerstudios wurden gegründet. Jeder, der vorher schon mal im Synchronbereich gearbeitet hatte, meinte nun, ein eigenes Studio eröffnen zu müssen. Das merkt man vielen Produktionen leider auch an.

Das müßte nicht so sein. „Synchron hat in Deutschland eine gute Tradition, und wenn man die betrachtet, kann man auch gute Spielfilme abliefern“, meint Joachim Kunzendorf von der Magma- Synchron in Berlin. Aber auch er räumt ein, daß viele schlechte Synchronisationen auf dem Markt sind. Schuld, sagt er, sind schlechte oder mangelnde Ausbildung, wenig bis keine Erfahrung, sprachliche Defizite und vor allem ständiger Zeitdruck bei der Produktion, der die Problematik noch zusätzlich verschärft.

Im Idealfall hat der Rohübersetzer mehr als drei Tage zur Verfügung, beherrscht die zu übersetzende Sprache und deren kulturelle Konnotationen nahezu perfekt, hat den Film oder die Serie mindestens einmal gesehen und wird der Aufgabe angemessen bezahlt, erhält also nicht bloß fünf Mark pro Manuskriptseite, sondern fast doppelt so viel. Die Rohübersetzung bekommt im Anschluß von Drehbuchautoren den letzten Schliff, bevor sie im Studio als Vorlage dient. Doch selbst dann wird während der Aufnahme noch viel geändert, meist, um die Lippenbewegungen auf der Leinwand und den Text besser aufeinander abzustimmen. Manchmal ist der Drehbuchtext selbst das Problem. Hansi Jochmann, Langzeitstimme von Jodie Foster, erzählt mit Schaudern von verbockten Übersetzungen. Da hatte ein Schreiber aus dem Originalsatz „Ich habe in meinem Leben schon mehr Frösche als Prinzen geküßt“ die gestelzte Version „Manches Märchenwesen entpuppt sich als garstiger Frosch“ gemacht.

Die SprecherInnen, alle ausgebildete SchauspielerInnen, kennen im Idealfall den Film natürlich auch. Für die Aufnahmen im Studio wird er in Takes – kurze Sequenzen von zwei bis sechs Sekunden Länge – aufgeteilt. Der Dialog wird mit Regisseur und Cutterin besprochen, mehrmals geprobt, bis der Text paßt, und schließlich aufgenommen – manchmal zehn- bis fünfzehnmal oder öfter. Ganz zum Schluß wird das Beste der deutschen Version zusammengeschnitten und mit den Originalgeräuschen gemixt.

Oft schicken die großen Hollywood-Produktionsfirmen sogenannte Supervisors, die die Arbeit nicht immer nur erleichtern. Manche lassen sich, da der deutschen Sprache nicht mächtig, deutsche Manuskripte ins Englische rückübersetzen, wundern sich dann, Unterschiede zum Original festzustellen und fordern Änderungen, die ihnen manchmal nur mühsam wieder ausgeredet werden können. Auch die Verleihfirma redet mit. Gelegentlich verlangt sie eine Stimme für den Star, die überhaupt nicht paßt. Filme, in denen ausschließlich Slang oder Dialekt gesprochen wird und die, wie zum Beispiel „Boyz'N'the Hood“, deswegen eigentlich kaum übersetzbar sind, sollen aber unbedingt in deutscher Version in die Kinos kommen. Und Filme, die im Original mehrsprachig gedreht wurden („Merry Christmas“, „Mr. Lawrence“), sollen fürs deutsche Publikum bitte einsprachig sein.

Nicht nur sprachlich, auch politisch werden deutsche Versionen gelegentlich bereinigt. Aus „Sugarland Express“ wurden Anfang der Siebziger, wegen der angespannten innenpolitischen Lage in Deutschland, insgesamt zwölf Minuten eliminiert. Die Bevölkerung einer mittelamerikanischen Kleinstadt solidarisiert sich mit einem Pärchen, das gegen die Übermacht von Staat und Polizei versucht, sein Kind wiederzubekommen. Auf Wunsch des Verleihs fielen einige Szenen der Schere zum Opfer. „Cabaret“, angesiedelt im Deutschland der dreißiger Jahre, wurde auf Verlangen des Verleihs von unliebsamen Nazireferenzen gesäubert – im Westen. Die Defa im Osten synchronisierte den Film in Originallänge – ganze 30 Minuten mehr. Gezeigt werden kann diese Fassung bislang allerdings, urheberrechtlich bedingt, nur in den fünf neuen Ländern.

Im Osten wurde überhaupt eifrig synchronisiert. Obwohl die SprecherInnen dort in der Regel wesentlich besser ausgebildet waren als im Westen, klangen die Defa-Fassungen wegen der schlechten technischen Ausstattung allerdings meist wie aus dem Eimer. Aber nicht nur ausländische Produktionen wurden eingedeutscht, auch die eigenen Filme wurden nachbearbeitet – nicht selten aus politischen Gründen.

Puristen stehen auf dem Standpunkt, Synchronisieren sei überflüssig und ruiniere die Filme nur. Aber auch Puristen beherrschen nur in den seltensten Fällen drei bis vier Sprachen perfekt genug, um alle Filme im Original zu genießen. Auch sie sind gelegentlich auf Untertitel angewiesen, und mit denen, so Kunzendorf, kann man im besten Fall 30 Prozent des Originalinhalts vermitteln. „Lesen kann man eben nicht so schnell wie hören.“ Im Optimalfall kann eine gut gemachte Synchronfassung 80 Prozent des Originals wiedergeben. „Aber Synchronisation ist immer ein Kompromiß“, fügt er hinzu.

Schleichend und nahezu unbemerkt hat das Synchrondeutsch – oder „Nato-Deutsch“, wie Michael Richter es nennt – unsere Alltagssprache beeinflußt. Vor allem deutsche Übersetzungen amerikanischer Filme nehmen „Einfluß auf alles, sogar unsere Satzstellung“, bemerkt er. Es wird im Deutschen gefaxt und gesponsert, gecheckt, endorsed und interviewt. In Gesprächen wird ohne Zögern „Das ist nicht der Punkt“ gesagt, auch von Leuten, die nicht wissen, daß es im Englischen „That's not the point“ heißt.

Es besteht jedoch Hoffnung, daß sich die Qualität von Synchronisationen in den nächsten Jahren vielleicht wieder etwas steigern wird. Der Ferhseh- und Videomarkt hat sich etwas beruhigt. Die Zahl der Neuaufträge geht zurück. Viele Serien und Filme, die in den Achtzigern gekauft wurden, sind heute bereits synchronisiert. Einige Sender sind außerdem dazu übergegangen, dem Publikum zunehmend eigene Produktionen anzubieten. Vielleicht, so Kunzendorf, gehen als Folge dieser Entwicklung einige von den Küchen- und Wohnzimmerstudios, die dem Ruf des Synchrongewerbes insgesamt geschadet haben, wieder ein.

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