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Archiv-Artikel

kuckensema: auf bremens leinwänden Kompakte Kurzgeschichten: Im Doppelprogramm „Riga. Moskauer Straße“ kommen lettische Filmemacher zu Wort

Seit 20 Jahren gibt es nun eine Städtepartnerschaft zwischen Riga und Bremen, und wie kann man solch einen Jahrestag besser feiern als mit authentischen Bildern und Geschichten aus der Partnerstadt? Da trifft es sich gut, dass es zumindest kulturell auch eine sehr enge Bindung zwischen Riga und Potsdam gibt, denn die dortige Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ ermöglichte es einer Reihe von Absolventen der lettischen Kulturakademie, eine Reihe von kurzen Filmen zu machen, in denen sie ihre Perspektive vom heutigen Lettland widerspiegeln konnten.

Als Dozent betreute der Regisseur Fred Kelemen diese außergewöhnliche Filmklasse, und wenn man sich nun die sieben Kurzfilme ansieht, die aus dieser Zusammenarbeit entstanden sind, und die am Freitag- und Samstaabend jeweils um 20.30 Uhr im Kino 46 gezeigt werden, kann man sich schon fragen, ob Kelemen dabei nicht nur, wie in den Abspännen aufgeführt, der Produzent, sondern auch der heimliche Mitautor ist. Denn alle Filme bestehen aus den von Kelemen bevorzugten langen Einstellungen, haben mit einer Länge von etwa 25 Minuten das gleiche Format und sind mit einer Ausnahme in den gleichen elegischen Grundton getaucht. Und in ihnen werden Geschichten erzählt, denn stilistische Spielereien und modischer Schnickschnack haben an der grundsoliden Hochschule „Konrad Wolff“ noch nie eine Chance gehabt.

So sind uns ein lettisches Musikvideo und ein Tarantino-Epigone aus Riga erspart geblieben. Statt dessen lernen wir Menschen in dieser Stadt kennen, die jeweils Rollen spielen, die nicht sehr weit entfernt von ihren eigenen Persönlichkeiten und Lebensumständen entfernt sind, sodass man hier glaubwürdige und intensive Darstellungen zu sehen bekommt, auch wenn die Darsteller offensichtlich keine professionellen Schauspieler sind.

Bei allen sieben Filmen wurde wohl viel Arbeit auf das Drehbuch verwendet, und so wirken sie wie kompakt erzählte Kurzgeschichten. Am einfachsten hat es sich dabei Liene Neimane gemacht, indem sie einfach Grimms Märchen von Hänsel und Gretel ins Lettland von heute transponierte. Bei ihr sind Eva und Matiss die armen Geschwister, die ihrem trunksüchtigen Stiefvater und der überforderten Mutter im tiefen Wald beim Beerensuchen abhanden kommen und von einem Hexerich eingesperrt werden.

Auch in zwei weiteren Filmen des Programms sind Kinder die Protagonisten: In Dzivite (Das kleine Leben) von Dana Linkiewicz wird von der Freundschaft eines Jungen und einer alten Frau erzählt, und diese macht die einzige eindeutig politische Aussage zur Vergangenheit Lettlands, die sich im ganzen Filmprogramm findet, wenn sie den Jungen auffordert, sich zu wehren, wenn er in der Schule geschlagen und gehänselt wird: „Ich musste mich mein Leben lang mit den Russen abfinden!“

Elina Bandena zeigt in „Begsana“ (Flucht), wie sich ein neun Jahre altes Mädchen in Fluchtfantasien flüchtet, weil sie eine Woche lang bei abweisenden und strengen Verwandten leben muss. Dieser Film ist formell wohl der ambitionierteste. Die junge Regisseurin traute sich etwa an eine drei Minuten lange, hochkomplizierte Einstellung, eine so genannte Plansequenz heran: Eine Außenaufnahme mit etwa zwanzig Komparsen und der neun Jahre alten Hauptdarstellerin, an der offensichtlich sehr viel herumgetüftelt werden musste, die auf der Leinwand dann aber ganz erstaunlich organisch und unangestrengt wirkt.

Am ehesten seinen eigenen Stil und Humor konnte Inesa Klava mit seinem Kurzfilm „Cauri“ (Hindurch) durchsetzen, bei dem er als einziger auch selber die Kamera bediente. Wie Kafkas Gregor Samsa wacht der Held des Films eines morgens verwandelt auf: Er bemerkt, dass er durch Wände gehen kann, und der Regisseur lässt ihn nun wie in einem B-movie der fünfziger Jahre eine Reihe von kuriosen Abenteuer bestehen. Da gibt es viele der altbekannten Tricks aus dem Computer, aber der Film zeigt auch die komischen Abenteuer eines jungen Mannes im Riga von heute. Und weil dabei die Kamera fast dokumentarisch eingesetzt wird, bekommt man ganz nebenbei ein Bild davon, wie es dort auf den Straßen aussieht, wie man dort wohnt und arbeitet, isst und trinkt, sich streitet und lacht. Wilfried Hippen