: Kommt ein Chemiewaffen-Sperrvertrag
■ Die USA sind nicht gegen Chemiewaffen sondern nur gegen deren Verbreitung / Aus Genf Andreas Zumach
Wohlklingende Vorschläge vor der UNO, eine Konferenz über die Vernichtung von Chemiewaffen einzuberufen, und Sanktionsdrohungen gegen den Irak erweckten in den vergangenen drei Wochen den Eindruck, als handelten die USA und ihre westlichen Verbündeten tatsächlich aus Sorge um kurdische Giftgasopfer und im Interesse eines weltweiten Chemiewaffenverbotes. Tatsächliche Motive sind jedoch die Wiederannäherung an den Iran, die Sorge um die Sicherheitslage Israels und die Angst vor Chemiewaffen in potentiellen Feindesländern.
Die USA verfüge über „unwiderlegbare Beweise für den irakischen Giftgaseinsatz gegen oppositionelle Kurden“, erklärte George Shultz Mitte September. Doch der US -Außenminister kam nie ernsthaft in die Verlegenheit, durch Veröffentlichung abgehörter Funksprüche der irakischen Luftwaffe möglicherweise aufschlußreiche Details über die Arbeit der US-Geheimdienste preisgeben zu müssen. Der US -Kongreß beschloß auch ohne Beweisvorlage Sanktionen gegen Irak. Das Signal wurde verstanden - in Teheran wie in Bagdad.
Von der iranischen Regierung erhofft sich Washington Einflußnahme auf die Entführer der acht US-Geiseln im Nahen Osten und setzt mittelfristig auf verbesserte Beziehungen zum Iran der Nach- Khomeini-Ära. Ein Zweck, zu dem nach jüngsten Aussagen des im Pariser Exil lebenden Ex -Regierungschefs Bani Sadre erneut US-Waffen an den Iran geliefert wurden. Doch nach zunächst wütenden antiamerikanischen Protesten hat sich die Stimmung in Bagdad wieder beruhigt - zumal die Reagan-Administration jetzt alles dran setzt, zwecks guter Beziehungen zum Irak und den mit ihm verbündeten arabischen Staaten die Umsetzung der vom US-Kongreß beschlossenen Sanktionen zu verhindern.
Ein Motiv zahlreicher Abgeordneter und Senatoren für ihre Zustimmung zu Sanktionen ist jedoch nicht so einfach bei Seite zu schieben: Die Sorge, daß ohne eine Bestrafung Iraks in den arabischen Staaten die Hemmschwelle vor einem Chemiewaffeneinsatz gegen Israel sinkt. Eine Gruppe von Senatoren um den rechten Republikaner Jesse Helms hat deshalb die Einbringung einer Gesetzesvorlage für Sanktionen auch gegen Syrien und Libyen angekündigt.
Beide Staaten verfügen nach übereinstimmenden Informationen des weltweit anerkannten britischen Chemiewaffenexperten Juilien Perry Robinson sowie des US-Geheimdienstes bereits über Chemiewaffen oder entwicklen sie derzeit. Das dies auch für Israel gilt, wird in der US-Debatte verschwiegen.
Mit seinem vor der UNO-Vollversammlung gemachten und von Frankreich und der Bundesrepublik inzwischen unterstützten Vorschlag, eine Konferenz der Unterzeichnerstaaten des Genfer Protokolls von 1925 (das den Chemiewaffeneinsatz verbietet) einzuberufen, hat US-Präsident Reagan ein völlig untaugliches Instrument zur Lösung eines wesentlich von Firmen dieser drei Staaten geschaffenen Problems angeboten: die Verbreitung von Chemiewaffen durch Lieferung von chemischen Grundstoffen, Know-how und ganzen Produktionsanlagen an inzwischen über 30 Staaten dieser Erde.
BRD-Unternehmen sind nach allen unabhängigen Quellen wie auch den Erkenntnissen des US-Geheimdienstes vor ihren französichen und US-amerikanischen Konkurrenten weltweit führend in diesem lukrativen Exportgeschäft, dem die Regierungen in Bonn, Paris und Washington bisher keinen Riegel vorgeschoben haben.
Bagdads Giftgaseinsatz gegen die kurdische Opposition im eigenen Lande diente nur als Vorwand und geeignete Kulisse für Reagans Vorschlag. Tatsächlicher Hintergrund ist die Sorge, daß Chemiewaffen eines Tages gegen US-Einrichtungen,
-Truppen oder Verbündete außerhalb Europas eingesetzt werden könnten.
Reagans Vorstoß für eine Neuverpflichtung auf das Genfer Protokoll und eine Begrenzung der Chemiewaffenverbreitung hat kaum Aussicht auf Verwirklichung. Der Vorschlag erinnert zu sehr an den Atomwaffensperrvertrag, der nicht zur damals von den USA, Frankreich, Großbritannien, China und der UDSSR versprochen Abschaffung dieser Massenvernichtungsmittel, sondern zur Sicherung des Atomwaffenmonopols dieser fünf Mächte geführt hat. Der Verdacht wird genährt durch die Blockadepolitik der USA und Frankreichs bei den Genfer Verhandlungen für ein weltweites Chemiewaffenverbot. Vertreter des US-Außenministeriums räumen denn auch ein, daß Reagans Vorstoß, für den bislang immer noch jegliche Details fehlen, eine kurzfristig geplante und ohne vorherige Konsultation der Verbündeten inszenierte Public-relations -Maßnahme war, nachdem die US-Haltung bei den Genfer Verhandlungen durch Äußerungen des Chefbotschafters Kampelmann öffentlich in Mißkredit geraten war (siehe taz 13.9.88).
Hinter der Zustimmung des sowjetischen Außenministers Shewardnadse zu Reagans Vorschlag verbirgt sich tatsächlich tiefe Skepsis. In Moskaus Delegation bei den Genfer Verhandlungen wird die Sorge geäußert, daß das ganze Unternehmen „zur Ablenkung vom Ziel eines weltweiten Verbotes dient“. Eine solche Konferenz - sollte sie wider Erwarten zustande kommen - stehe bei der Frage von Sanktionen gegen Verletzungen des Genfer Protokolls und anderen politischen wie technischen Details vor den selben Problemen, wie die derzeitigen Verhandlungen und brauche „mindestens so lange, um zu verbindlichen Vereinbarungen zu kommen“. Diese Einschätzungen wird auch von Chemiewaffenexperten des US-Kongresses vertreten.
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