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KommentarBinnenmarkt und sonst

■ Wunschbild Europa

Es gibt doch diese Leute, die immer so ein „sonderbares Gefühl“ bekommen, wenn sie den Rhein überqueren und dabei den Paß nicht vorzeigen müssen, und die glänzende Augen haben, wenn sie vom „Europa ohne Grenzen“ sprechen. Und dann diese Orte, in denen jedes zweite Café „d' Europe“ heißt und überall blaue Fahnen mit gelben Sternchen flattern. Straßburg oder Brüssel oder Genf.

Meine Eltern erzählen mir auch manchmal, wie das nach dem Krieg war, als man anfing, von der deutsch-französischen Freundschaft zu reden und von dem neuen Europa, das man bauen wollte. Es muß großartig gewesen sein, plötzlich mit den Franzosen gut Freund sein zu können und nicht mehr Angst vorm „Erbfeind“ zu haben...

Was damals so neu und so großartig gewesen ist, scheint mir heute eine mit Indifferenz gepaarte Normalität zu sein. Ich jedenfalls habe beim Rheinüberqueren selten ein „erhebendes Gefühl“, und den Begriff Europa kann ich immer noch nicht mit dieser Gemeinschaft verbinden, von der einem so mancher „Europäer“ glauben machen will, es gäbe sie bereits. Natürlich: Schüleraustausch habe ich gemacht, und in Straßburg oder Paris fühle ich mich nicht fremder als in Frankfurt oder Stuttgart, aber was hat das mit der europäischen Einigung zu tun? Ich bin keine „Euroskeptikerin“, ich habe auch keine Angst vor dem, was manche als „Eurokratie“ anprangern – aber was Europa letztlich heißen soll, verstehe ich nicht.

Klar, es gibt dieses kleine fusselig gezackte Kontinentlein auf der Weltkarte, das so aussieht, als wäre es dem riesigen Asien angeklebt. Auf eine lange Geschichte blicke es zurück, so heißt es, auf viele bedeutende Kulturen und Figuren, Errungenschaften und Werte. Aber was ist mit dem „gemeinsamen europäischen Haus“, das da gebaut werden soll – eine Metapher, die ich ohnehin fragwürdig finde, denn wer kriegt die Kellerzimmer?

Wenn man die Zeitung aufschlägt und das Wort „Europa“ sucht, so wird man zumeist auf der Wirtschaftsseite, manchmal noch bei Politik fündig. Jüngst war sogar die Schlagzeile auf Seite 1 „europäisch“. Doch um was ging es da? Das Europäische Währungssystem ist zusammengebrochen. Okay für diejenigen, die den Maastrichter Vertrag auf dem Nachtkästchen liegen haben und die sich zufällig vorstellen können, wie Währungen einander stützen (oder eben auch nicht), war dies eine „Euroneuigkeit“, für die anderen eben wieder mal eine von denen, die etwas mit diesem Dings, diesem Binnenmarkt zu tun haben.

Da ist es schon wieder, dieses Wort, das überall herumgeistert und das offenbar etwas mit europäischer Einigung zu tun hat (ebenso wie dieser Ecu, von dem ich gerne mal wüßte, wie er aussieht und ob man wohl die Parkuhren vor dem Europarat damit füttern kann). Der Binnenmarkt, so hab' ich jüngst gelesen, ist das „Herzstück“ der europäischen Einigung. Na also! Dann hat das Ganze mit mir selbst ohnehin nicht viel zu tun... Und auf dem Binnenmarkt, da kann man wahrscheinlich mit dem Ecu bezahlen. Sofie Geisel

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