Kommentar: Wasser steht bis zum Hals
■ Die Haushälterin auf Steuerfahndung
Annette Fugmann-Heesing hat gestern klargestellt, daß sie das Amt der Bürgermeisterin bekleidet. Daß sie und nicht CDU-Wirtschaftssenator Branoner die Wachstumsprognose nach unten korrigierte, zeigt aber mehr und hat auch nur mittelbar etwas mit Vorwahlkampf im Hinblick auf den Oktober 1999 zu tun. Der SPD-Finanzsenatorin steht das Wasser bis zum Hals – was die langfristige Planung angeht. Sie kann den Haushalt des Landes nur ins Lot bringen, wenn die Wirtschaft läuft. Das ist nicht der Fall.
Und die Wirtschaftsverwaltung übt sich in Schönfärberei. Obwohl das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos gerade seine Schätzung für die kommenden 20 Jahre abgegeben hat. Danach wird die Berliner Wirtschaft durchschnittlich um 1,5 Prozent jährlich wachsen. Das ist zuwenig, um die Arbeitslosigkeit entscheidend zu verringern. Und es dürfte ebenfalls nicht reichen, um das Steueraufkommen zum Landeshaushalt wesentlich zu steigern. Damit aber gerät Fugmann-Heesings komplette Sanierungsstrategie in Gefahr. Abgesehen davon, daß einige der großen Privatisierungsvorhaben nicht funktionieren, kann man den Verkauf von Landeseigentum nicht unbeschränkt fortsetzen. Wenn deshalb nicht bald mehr Steuern die fehlenden Milliarden erbringen, ist guter Rat teuer.
Dann muß die Finanzverwaltung weitersparen. Notwendige Ausgaben für Theater, Kindertagestätten und Schulen werden eingeschmolzen. Doch trotzdem läßt sich das Loch nicht verringern. Man muß den Leuten sagen „Schränkt euch ein“ – ohne ihnen Hoffnung machen zu können, daß es bald wieder aufwärts geht.
Keine ersprießliche Perspektive. Deswegen zieht die Finanzsenatorin jetzt die Reißleine: Die Berliner Wirtschaftspolitik müsse endlich aus ihrer Lethargie aufwachen. Das ist zwar richtig, doch vermutlich läßt sich damit der eher deprimierende Trend nicht umkehren. Es braucht Zeit, bis Berlin und der Osten insgesamt den massiven Strukturbruch von 1989 verdaut haben. Letztlich bleibt als Übergangslösung nur, mehr Geld aus Bonner und Brüsseler Töpfen zu erstreiten, um die soziale und ökonomische Versorgung der Stadt wenigstens auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten. Hannes Koch
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