Zum Kinderheim „Neustart“: Das Vertrauen ist aufgebraucht

Nachdem das Brandenburger Jugendministerium bestätigt, dass es in dem Heim unerlaubte Freiheitsentziehung gab, sollte man das Heim ganz schließen.

Fenster sind mit Folie verklebt

Kinderheim Jänschwalde: Die Fenster der Aufnahmezimmer waren mit Milchfolie beklebt Foto: Wolfgang Borrs

Der gestrige Mittwoch war ein guter Tag für die Jugendhilfe in Brandenburg. Das Jugendministerium sieht die im September von Jugendlichen in der taz erhobenen Vorwürfe an das Heim Neustart in Jänschwalde bestätigt. Es wurden nach Feststellung des Ministeriums Türen verschlossen, Fenster verklebt, Möbel angeschraubt, die Jugendlichen wurden bei jedem Toilettengang entwürdigenden Frageritualen unterworfen, der Alltag war von einem sanktionierenden Punktesystem dominiert. Das galt für die Neuen in den ersten Monaten. Und ist nun nicht mehr erlaubt. Ministerin Britta Ernst (SPD) hat die Betriebserlaubnis für dieses Konzept entzogen.

Doch es ist Zufall, dass die Sache publik wurde. Man bedenke, nur wenige Monate zuvor war Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zu Besuch in dem Heim und voll des Lobes. Auch das örtliche Jugendamt Spree-Neiße verteidigte auf taz-Anfrage die Methoden. Fachkräfte des Jugendamtes seien „regelmäßig vor Ort“ und Beschwerden seien nicht bekannt. Niemand hinterfragte, wozu denn die Schlüssel am Band benutzt werden, mit denen die Mitarbeiter auch auf Pressefotos deutlich zu sehen waren.

Nun stellt das Ministerium fest: Hier wurden „freiheitentziehende Maßnahmen ohne richterliche Beschlüsse praktiziert“. Das ist starker Tobak. Dem Träger, dem ASB Lübben, wird die Zuverlässigkeit abgesprochen, für das Wohl der Kinder mit intensivpädagogischen Förderbedarf sorgen zu können. Deshalb gibt es eine halbe Heimschließung. Die Gruppen 1 und 2 verlieren die Betriebserlaubnis. Doch im Nachbarhaus dürfen Gruppe 3 und 4 mit einem nachgebesserten Konzept weitermachen. Und mit neuem Konzept könnte der Träger sogar eine neue Betriebserlaubnis für Gruppe 1 und 2 beantragen.

Dabei sind dort vor Ort dieselben Erzieher, dieselbe Leitung, es herrscht derselbe pädagogische Geist vor. Jugendliche, die noch im Januar dort waren, berichteten der taz, dass sie dort unglücklich sind. Auch zeigt sich der Betreiber wenig einsichtig. ASB-Lübben-Geschäftsführer Sven Meier kündigte inzwischen an, er sei mit der Entscheidung nicht einverstanden und werde sie „gerichtlich überprüfen lassen“.

Das Kindeswohl sei in dem Heim nicht gefährdet gewesen, da man lediglich „freiheitsbeschränkende“ und nicht „freiheitsentziehende“ Maßnahmen durchführe. Auch habe das Ministerium Sachverhalte zum sogenannten „Anklopfverfahren“ und „Token-System“ falsch dargestellt und „fehlerhaft gewürdigt“. Noch wenige Tage zuvor klang der Träger-Chef defensiver, als er in der Lausitzer Rundschau sagte, vielleicht habe man „rückblickend betrachtet, auch Fehler gemacht“ und um eine „faire Chance zur Korrektur“ bat.

Doch die Ministerin handelt richtig. Ihr Bericht legt ausführlich dar, weshalb die angewendeten Maßnahmen eben doch unzulässiger Freiheitsentzug waren. Jugendhilfe ist kein Feld für Versuch und Irrtum. Die Jugendlichen, die die taz sprach, haben unter dem Heim gelitten und keine Chance, ihre verlorene Jugendzeit zurück zu bekommen. Sie vertreten entschieden die Meinung, dass das Heim ganz dicht gemacht gehört, weil sich die Haltung der Betreuer nicht änderte. Deshalb muss aufmerksam geguckt werden, wie es in Jänschwalde weiter geht. Es wäre fatal, wenn sich die alten Verhältnisse wieder einspielen.

Anmerkung der Redaktion: Der Kommentar wurde nachträglich durch den Hinweis auf den Abschlussbericht ergänzt.

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

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