Kommentar Ulla Schmidt: Ende einer Dienstfahrt
Bei der Kritik an Ulla Schmidt geht es nicht um die Nutzung ihres Dienstwagens im Spanienurlaub, sondern um Posten-Poker, alte Rechnungen und Sündenböcke.
E ines ist gewiss: Ulla Schmidt wird nach der Wahl nicht mehr Bundesgesundheitsministerin sein. Aber die Gründe dafür haben wenig zu tun mit Nebensächlichkeiten wie der Nutzung ihres Dienstwagens im Spanien-Urlaub. Vielmehr geht es hierbei um Posten-Poker, alte Rechnungen und Sündenböcke.
Kaum verhüllt hat Familienministerin Ursula von der Leyen bereits vor Monaten verkündet, sie ziehe es ins mächtige Gesundheitsressort. Diesen Wunsch kann und will ihr die eigene Partei nach von der Leyens öffentlichkeitswirksamer Amtszeit nicht abschlagen. Die schwächelnde SPD kann dies erst recht nicht. Die Sozialdemokraten werden im Fall einer Fortführung einer schwarz-roten Koalition diese nicht an der Frage scheitern lassen, ob sie das ohnehin unbeliebte Gesundheitsressort behalten oder nicht.
Die Häme, die Schmidt derzeit so massiv entgegenschlägt, ist auch ein Ventil. Halb bewundernd, halb fassungslos betrachten Ärzte- und Pharmavertreter, Journalisten und Bürger, wie sich die lange unterschätzte Exlehrerin mauserte zur "Eisernen Ministerin". In acht harten Jahren hat Schmidt alle Rücktrittsforderungen ausgestanden. Nun kommt ihren Kritikern die Lappalie der - rechtlich zulässigen - Nutzung eines Dienstwagens im Urlaub gerade Recht, um sie in die Knie zu zwingen. Dabei übersehen sie: Die Ministerin ist bereits auf dem Rückzug, und vieles andere in ihrer Amtszeit war weit kritikwürdiger als diese Sommerloch-Posse.
Hoffentlich hat die SPD die Größe, ihr eigenes Unvermögen nicht ihrer scheidenden Ministerin vorzuhalten. Ulla Schmidt hat viele Fehler begangen: Sie hat unter anderem Ärzten ohne Gegenleistung Euro-Milliarden gewährt und einen überflüssigen, teuren Gesundheitsfonds aufgebaut. Die jüngsten Umfragen legen ein Scheitern der SPD am 27. September nahe. Ulla Schmidt können die Genosinnen und Genossen dafür aber nicht haftbar machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen