Kommentar SPD-Vorstoß Steuerbetrug: Warum heute noch Straffreiheit?

Der Staat hat inzwischen reichlich Möglichkeiten, säumige Steuerzahler selbst zu entdecken. Er ist auf freiwillige Selbstanzeigen nicht angewiesen.

Straffreiheit für Steuerhinterzieher muss nicht sein. Bild: dpa

Der deutsche Staat hat ein Herz für begüterte Steuerhinterzieher wie Alice Schwarzer oder Uli Hoeneß. Die Rechtslage ist großzügig: Wer seinen Betrug beim Finanzamt anzeigt, geht straffrei aus, sofern er einen Teil der vorenthaltenen Steuern nachträglich zahlt. Selbst reuige Millionäre, die immense Summen am Staat vorbeischleusen wollten, brauchen keine Strafverfolgung zu fürchten. Ist das gerecht?

Nein, natürlich nicht. Die SPD liegt richtig, wenn sie jetzt auf eine Verschärfung der Verfolgung drängt. Dem Staat Geld vorzuenthalten, das dieser dringend für demokratisch beschlossene Aufgaben benötigt, ist kein Kavaliersdelikt. Es ist schlicht kriminell. Schon die gängige Rede von „Steuerhinterziehung als Volkssport“ führt in die Irre.

Steuerhinterziehung ist eine Spezialität der ökonomischen Eliten, ebenjener Schichten also, die gerne in allen möglichen Debatten die moralische Deutungshoheit beanspruchen. Nur wer über hohe Einnahmen, über Vermögen und juristisches Know-how verfügt, kann in großem Stil Steuern hinterziehen.

Welche Krankenschwester kommt schon in den Genuss, sich zu überlegen, ob sie ein Sümmchen in der Schweiz parkt? Ausnahmsweise ist es also nicht populistisch, zu behaupten, dass Ausnahmen für „die da oben“ gelten. Während Behörden jeden tricksenden Hartz-IV-Bezieher verfolgen, fassen sie betrügerische Reiche mit Samthandschuhen an.

Der Grund ist ein vermeintlich pragmatischer. Der Staat hofft, wenigstens einen Teil des ihm zustehenden Geldes zu bekommen, das sonst in Gänze verloren wäre. Solange es Steueroasen gibt, argumentiert die CDU, muss die Straffreiheit bei Selbstanzeigen bestehen bleiben. Doch dieses sehr realpolitische Argument greift heute nicht mehr.

Finanzbehörden sind heute besser vernetzt als vor zehn Jahren, die Digitalisierung schafft Transparenz, Steuer-CDs mit Betrügerdaten werden aus Banken geleakt. Das heißt: Der Staat hat inzwischen reichlich Möglichkeiten, säumige Zahler selbst zu entdecken. Er ist auf freiwillige Selbstanzeigen nicht mehr angewiesen.

Ob die SPD nun tatsächlich in die Offensive geht, ist offen. Im Koalitionsvertrag steht ein windelweicher Prüfauftrag, mehr konnten die Sozialdemokraten gegen die Union nicht durchsetzen. Jetzt haben sie die hübsche Gelegenheit, einen zweiten Anlauf zu nehmen.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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