Kommentar SPD-Strategie: Neuwahl nur mit neuem Ziel
Noch mal wählen lassen? Das ergibt nur Sinn, wenn die SPD ernsthaft um ein rot-rot-grünes Bündnis kämpft, statt wieder eine Groko anzustreben.
A uf den ersten Blick scheint der Wunsch vieler Sozialdemokraten nach einer Neuwahl schwer verständlich. Was soll sich denn dadurch groß ändern? Wenn es beim Ergebnis keine großen Verschiebungen gibt, liegen danach schließlich die gleichen Optionen auf dem Tisch wie jetzt auch.
Das stimmt: Wenn die SPD mit demselben Personal, demselben Programm und erneut ohne Machtoption antritt, wird sich an der derzeitigen Misere vermutlich nicht viel ändern. Aber wer sagt denn, dass das so sein muss?
Die Sozialdemokraten könnten ja auch die sich jetzt bietende Chance nutzen, die Realität anzuerkennen: Die einzige Option, in der sie den Kanzler oder die Kanzlerin stellen und wirklich sozialdemokratische Politik umsetzen können, ist derzeit eine rot-rot-grüne Koalition.
Denn eine Ampelkoalition mit FDP und Grünen, die heimliche Hoffnung von Schulz, ist nach dem Scheitern von Jamaika erst recht keine Option mehr. Rot-Rot-Grün hat zwar derzeit keine Mehrheit – aber das könnte sich ändern, wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass eine solche Koalition möglich ist.
Mehr Stimmen wären durchaus möglich
Als Schulz seine Kandidatur ankündigte und ein Bündnis mit Grünen und Linken als Möglichkeit im Raum stand, stieg die Zustimmung zur SPD plötzlich auf 30 Prozent. Starke Verschiebungen sind also möglich, wenn es eine neue Machtoption gibt. Als er später auf deutliche Distanz zur Rot-Rot-Grün ging, brachen die Umfragewerte wieder ein.
Zur echten Option würde eine solche Koalition aber nur, wenn die SPD glaubhaft vermitteln könnte, dass sie sie anstrebt. Das erfordert neben einer neuen Kandidatin und einem zugespitzten Programm auch ein Ende der Feindschaft gegen die Linkspartei – wofür sich beide Seiten schon vor der Wahl aufeinander zu bewegen müssten.
Besonders realistisch scheint dieses Szenario zugegebenermaßen nicht. Aber nur unter dieser Bedingung hat eine Neuwahl Sinn. Dafür, dass die SPD am Ende doch wieder als Juniorpartner in einer Großen Koalition landet, brauchen wir sie jedenfalls nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz