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Kommentar Macrons Brief an die NationGefährliches Neuland

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Macron bietet per Brief den Dialog an und wird dafür verspottet. Er geht dabei das echte Risiko ein, dass sein Angebot angenommen wird.

Macron versucht die Auseinandersetzung von der Straße auf die Ebene des Dialogs zu heben: Demonstrant in einem Pariser Vorort (09.01.) Foto: dpa

I st es unfair, wenn ein Teil der Medien und die Opposition in Frankreich den Versuch des Staatspräsidenten, mit einem Brief einen Dialog in Gang zu bringen, schon im Voraus verspotten oder ablehnen? Nach der Erfahrung der ersten 18 Monate der fünfjährigen Amtszeit fällt es vielen schwer zu glauben, dass Emmanuel Macron ihnen mit seiner demokratischen Pirouette quasi eine Politik à la carte anbietet.

Man kann es diesen Skeptikern nicht verdenken, wenn sie vermuten, bei dieser Initiative von oben müsse es sich zwangsläufig um ein Ablenkungsmanöver oder gar einen politischen Täuschungsversuch handeln. Der Präsident hat bisher nie hingehört, wenn sein Kurs kritisiert wurde, weshalb sollte er jetzt plötzlich voller Demut der Volksmeinung Rechnung tragen? Mit diesem Vorurteil muss Macron rechnen.

Er geht indes ein echtes Risiko ein. Niemand weiß, was bei dieser Debatte herauskommen und vor allem, was für eine unkontrollierbare Dynamik damit eventuell ausgelöst wird. Ob das Motiv des von der Gelbwesten-Bewegung in die Enge getriebenen Staatschefs eher Mut oder Verzweiflung ist, sei dahingestellt. Spannend wird es auf jeden Fall, wenn die BürgerInnen nun den Präsidenten beim Wort nehmen und ihre Chance zu mehr direkter Mitsprache nutzen wollen. Sie werden es kaum hinnehmen, wenn danach alles beim Alten bleiben soll.

Macron wagt sich in der französischen Politik also auf gefährliches Neuland. Seine vorrangige Absicht ist es, die Auseinandersetzung von der Straße weg auf die Ebene des Dialogs und der Konfrontation von Ideen zu bringen. Falls dies gelingt, wäre das schon mal ein wichtiger Erfolg für ihn. Es könnte ihm sogar erlauben, die verbleibenden drei Jahre seines Mandats und einen Teil seines Programms zu retten.

Voraussetzung dafür aber wäre, seine Landsleute kaufen ihm ab, dass sein Angebot zum Dialog ehrlich gemeint ist. Dieser Kampf um die Glaubwürdigkeit ist schwer zu gewinnen, aber er ist für ihn nicht im Voraus verloren.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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9 Kommentare

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  • Macron macht in seinem Brief explizit, dass eine Rückführung der Abschaffung der Vermögenssteuer auf keinen Fall kommen wird und sagt explizit: "wenn wir Steuern senken, müssen wir auch öffentliche Leistungen streichen, sucht Euch aus, welche". (ein Argument, dass im Übrigen nicht im Spiel war, als er die Vermögenssteuer abschaffte)



    D.h., im besten Fall bietet er einen "Dialog" an, in dem sich Nichtreiche aussuchen können, wie genau sie gef**** werden, im schlimmsten wird schlicht alles ignoriert.

  • Es ist den meisten bisher leider entgangen, dass die Regierung von Macron regelmäßig partizipative Prozesse zur Politikentwicklung einsetzt. Dabei werden die jeweils relevanten Interessensgruppen - wobei das sehr breit verstanden ist, inkl. NGOs, Wissenschaft, Unternehmen, Politik etc. - einbezogen. So gab es beispielsweise letztes Jahr einen gut strukturierten Stakeholder-Prozess zu Landwirtschaft und Ernährung, der sehr konstruktiv abgelaufen ist. Daran kann sich Deutschland eine Scheibe abschneiden - hier traut sich das bislang keiner.



    Nichtsdestotrotz ist die "Grand Debat" eine Herausforderung mit nicht unerheblichen Risiken. Den Dialog trotzdem zu wagen zeugt aber von Mut und Entschlossenheit, die vorhandenen Probleme anzugehen und nicht unter den Teppich zu kehren, wie das insbesondere der Vorgänger von Macron gemacht hat.

    • @Dietlinde Quack:

      Genau das ist ja das Problem der aktuellen Postdemokratie, nämlich dass Politik nur für "relevante" Interessengruppen gemacht wird, und nicht für das breite Volk.

      Als breites Volk verstehe ich jetzt die, die nicht zu den 10% gehören, die immer wohlhabender werden.

      • @Gostav:

        Die Politik sollte meiner Meinung nach versuchen, das Beste für möglichst breite Bevölkerungsschichten d.h. möglichst großer Bevölkerungsanteil der Gesamtbevölkerung herauszuholen.

  • Ist es unfair, wenn ein Teil der Medien und die Opposition in Frankreich den Versuch des Staatspräsidenten, mit einem Brief einen Dialog in Gang zu bringen, schon im Voraus verspotten oder ablehnen?

    Vor allem ist es traurig, finde ich. Es zeugt nämlich von:

    a) wenig Optimismus



    b) wenig Vertrauen in die am Dialog Beteiligten



    c) einer Portion Geschichtsvergessenheit und



    d) einem erstaunlichen Maß an Arroganz.

    Nein, Macron wagt sich nicht auf „gefährliches Neuland“. Runde Tische sind nichts völlig Unbekanntes. Das Dumme daran ist nur, dass sie auf Gleichberechtigung basieren. Und die ist in der französischen Geschichte nur punktuell zum Zug gekommen. Mit bösen Spätfolgen übrigens. Dass sie ein Grundpfeiler der Politik des aktuellen Präsidenten wäre, ist mir bisher noch nicht aufgefallen. Und die französische Verwaltung dürfte auch nicht viel weniger autoritär veranlagt sein als die Deutsche.

    Je nun. Vermutlich geht es Macron ja nicht um einen Kompromiss. Im aktuellen Konflikt sieht er wohl eher eine Krise seiner persönlichen Lebensplanung als eine der Republik. Es geht ihm darum, die Protestierenden aus der allgemeinen Wahrnehmung verschwinden zu lassen – und mit der Tatsache zu konfrontieren, dass sie im Grunde weder eine Ahnung haben noch ein gemeinsames Ziel.

    Macron will den Kampf um die Glaubwürdigkeit offenbar dadurch gewinnen, dass er den Staat, als den er sich versteht, besser dastehen lässt als die Protestierenden. Das wird vermutlich leicht werden. „Im Voraus verloren“ ist sein Kampf jedenfalls nicht. Dafür haben er und seine Vorgänger gesorgt. Mit einer Sozial- und Bildungspolitik etwa, die den Namen nicht verdient.

    Die Gelbwesten werden es hinnehmen müssen, wenn nach den Gesprächen alles beim Alten bleibt? Es wird ihnen gar nichts anderes übrig bleiben. Macron hat seine Hausaufgaben offenbar gemacht. Das hat er immer schon getan. Im Gegensatz zu sehr vielen anderen Leuten. Wären dem nicht so, wäre er nicht Präsident.

  • C'est super, non?



    Die Leute lassen sich nicht für dumm verkaufen, deshalb wird eine Einigung auf konkrete Forderungen eine Eigendynamik entfalten.



    Sehr gut. Erinnerte zuerst an die hiesige SPD:



    Sie lässt nach der Wahl alle wissen, dass endlich Schluss sei mit Hartz IV, Ausbeutung der Mieter, Unterwerfung in der GroKo, aber tut wenig später das Gegenteil.



    Der Unterschied zu Macron wird aber sein, dass die Wut in Frankreich zu groß ist, um Macron Ausflüchte zu erlauben.



    Es ist eine junge Bewegung, dazu zählen auch Mitglieder von en-marche, und nicht nur ein einziger junger Präsident, die jetzt gefordert ist.

  • Wo ist da ein Dialog-Angebot? Macron hat unmissverständlich klargemacht, dass er die Eckpunkte seiner Maßnahmen nicht zur Disposition stellt.

    Das Angebot ist eine schlichte Vernebelung, mit einem Gesprächskreis den Druck aus dem Kessel zu lassen, ohne auch nur etwas an der eigentlichen Zielsetzung ändern zu müssen.

    Insofern frage ich mich, wo darin ein Risiko oder gar eine Politik ala Carte liegen mag.

  • Ich hätte gerne gewusst, womit Macron in einem echten Dialog überzeugen will und kann, wenn er dann doch zumindest einen Teil seines Programms, das hier Reformen genannt wird, durchsetzen will.

    • @Rolf B.:

      Macron muss nicht überzeugen. Er muss seinen Kritikern nur Gelegenheit geben zu erkennen, dass sie selbst (auch) kein funktionsfähiges Programm haben. Und das ist leicht angesichts der Komplexität moderner Gesellschaften. Ob es der französischen Gesellschaft hilft, wenn noch mehr Menschen resignieren und/oder ihren Aggressionen freien Lauf lassen als bisher, ist allerdings wieder eine ganz andere Frage.