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Kommentar Gauck in der TürkeiErfrischend ehrlich

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Wenig diplomatisch, dabei aber nicht ungeschickt, gibt sich der Bundespräsident in der Türkei. Premier Erdogan dürfte das kaum gefallen.

Die Präsidenten Gauck und Gül in angeregtem Gespräch. Bild: reuters

D as waren klare Worte. Ungewöhnlich direkt hat Gauck bei seinem ersten Staatsbesuch in der Türkei all die Punkte angesprochen, die nicht nur ihm einiges Unbehagen bereiten: Erdogans autoritäre Tendenzen, nicht erst seit den Gezi-Protesten vom vergangenen Sommer, sein direkter Angriff auf die Gewaltenteilung durch die massenhafte Versetzung unliebsamer Polizisten und Staatsanwälte im Dezember, die Knebelung der Pressefreiheit und die Debatte um ein mögliches Verbot von Twitter und Youtube – all das liefe auf eine „Gefährdung der Demokratie“ hinaus die ihn persönlich erschrecke, so der deutsche Bundespräsident.

Starker Tobak. Aber genau solchen Klartext hatten viele von Gauck auf dessen erster Türkeireise erwartet, in der Türkei und in Deutschland, und der Bundespräsident hat sie nicht enttäuscht. Schon sein Besuchsprogramm enthielt eine Botschaft: Nur ein knappes Mittagessen mit Ministerpräsident Erdogan, dafür viel Zeit mit seinem Amtskollegen Abdullah Gül, der sich schon mehrfach mit moderaten Tönen von Erdogan abgesetzt hatte, dazu Treffen mit Oppositionellen und Menschenrechtlern – er suchte den Schulterschluss mit Erdogans Kritikern.

Gauck hat aber auch gut daran getan, zunächst ein Flüchtlingslager an der Grenze zu Syrien zu besuchen und die humanitäre Leistung der Türkei zu würdigen mit dem selbstkritischen Seitenhieb, davon könnte sich Deutschland eine Scheibe abschneiden. In seiner Rede vor Studenten räumte er außerdem das deutsche Versagen in der NSU-Mordserie ein. Damit hat er geschickt die Gefahr umschifft, in der Türkei wie ein Oberlehrer aufzutreten, der nur wohlfeile Lektionen erteilen will. Gauck hat da als Präsident inzwischen dazu gelernt.

Nur seine mehr als ausweichende Haltung zu einem EU-Beitritt der Türkei trübt das Bild – ein klares Bekenntnis zu diesem Ziel hätte sicher zusätzlich als Motivation gewirkt, die demokratischen Anstrengungen voranzutreiben. Tatsächlich muss sich die Bundesregierung fragen lassen, ob ihre ablehnende Haltung zu einem EU-Beitritt der Türkei nicht ihren Teil zu Erdogans störrischen Sonderweg-Allüren beigetragen hat.

Auch kann man es immer seltsam finden, dass deutsche Politiker gegenüber Staaten wie der Türkei oft deutlich kritischere Töne finden als gegenüber befreundeten Staaten wie den USA oder, aktuell, zu den Frechheiten eines Silvio Berlusconi. Gaucks Auftritt in der Türkei war in der Tat ungewöhnlich undiplomatisch, aber auch erfrischend ehrlich. Erdogan dürfte er kaum gefallen haben. Aber der hält sich ja auch kaum zurück, wenn er in Deutschland zu Gast ist.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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5 Kommentare

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  • Bravo ! Endlich hat ein Deutscher – und zudem noch ehemals christlicher Pastor - mal den „Türken“ den Begriff „Freiheit“ erklärt. Im eigenen Land scheint sein Freiheitsbegriff eher der derzeitigen amerikanischen Handlungs,- und Denkweise zuzuordnen sein. Dieser Mann ist Merkels größter Coup – Als ehemalige Theologentochter sich einen gelernten Prediger in die Gemeinde zu holen, um ihn zum höchsten Staatsmann zu küren – ist nicht originell aber effektiv. Das dieser Mann in seiner Antrittsrede sich als Präsident „Aller Deutschen“ bezeichnet, wird spätestens bei seiner Rede am Bankentag in Berlin, als er deutsche Bankkunden indirekt als „bekloppt und unfähig in Finanzfragen“ hinstellt - als Präsident aller „Deutschen Bankiers“ revidiert und mit stehenden Beifall und Ovationen von den Anwesenden honoriert. Die Aktivitäten der NSA werden vom ihm nur unter „Ferner liefen“ und das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA als ausdrücklich zur Steigerung des Wohlstands auf beiden Seiten präferiert. - Entweder ist unser höchster deutscher Staatsmann einer der größten Philister der Neuzeit – oder verblendet durch (s)einen Freiheitsgedanken nur noch bereit die Ziele seiner Kanzlerin zu akzeptieren.

     

    Dieser Mann hat als gläubiger Christ auf die Bibel geschworen … Unheil vom Deutschen Volke abzuwenden … Unterstützen wir ihn dabei:

     

    Gauck for GREEN CARD (President)

  • "ernüchternd peinlich" würde es in der überschrift doch viel besser treffen.

  • Wer dort das Maul so weit aufreißt, darf sich nicht wundern, wenn Erdogan seine Auftritte hier nutzt, um sein nationalistisches Gift zu verspritzen. Gauck ist ein Quatschkopp, der im Ausland gefälligst die Klappe zu halten hat.

  • Die Kritik ist sicherlich nicht besonders mutig, sondern dient dazu, Lob im eigenen Land einzufahren. Gauck behandelt Menschenrechte immer nur sehr selektiv, Verstöße werden kritisiert, wo sie opportun sind, ansonsten ausgeblendet, siehe sein schlimme Haltung gegenüber Edward Snowden und sein komplettes Schweigen zum Terrorurteil gegenüber Chelsea Manning. Die Kritik an Menschenrechtsverletzungen dürfte dann, selbst wenn sie berechtigt ist, komplett wirkungslos sein, wenn sie von Personen ausgeht, von denen bekannt ist, dass sie Menschenrechte nur instrumentell in der politischen Diskussion einsetzen. Seit seinem Versagen gegenüber Edward Snowden und seinem Schweigen zu Chelsea Manning ist es sicher, dass dies für Herrn Gauck zutrifft.

  • Was er sich in der Türkei traut, traut er sich hier nicht. Zu Internet-Stoppschildern und Vorratsdatenspeicherung schweigt Gauck.