Kommentar Ethische Leitlinien zu KI: Zu vorsichtig und industrienah
Die Leitlinien der EU-Kommission zu künstlicher Intelligenz sind nur freundliche Bitten an die Industrie. Längst bräuchte es aber viel mehr.
D arf eine Maschine, gesteuert von künstlicher Intelligenz (KI) – jemanden töten? Diese Frage hat die EU-Kommission, die diese Woche ethische Leitlinien zur KI vorgestellt hat, nicht mit Nein beantwortet.
Auch nicht mit Ja, was ja schon mal gut ist, aber sie hat die Frage nicht mal explizit gestellt. Denn die Leitlinien sind nicht mehr als freundliche Bitten an die Industrie, dazu geeignet, die Unternehmen möglichst nicht zu verärgern. Längst bräuchte es aber viel mehr.
Nicht nur weil die USA und China, die derzeit wichtigsten Regionen für die Entwicklung und den Einsatz von KI-Technologien, von ethischen Regeln nicht so wahnsinnig viel halten. Sondern weil auch Europa ein Markt ist. Und KI als relativ neue Technologie wäre eine einzigartige Chance: darauf, verbindliche Regeln zu erstellen, bevor das Produkt in Breite verfügbar ist. Und eben weil die EU mit rund 500 Millionen Bürger:innen ein Markt ist, kämen auch US-Konzerne nicht so einfach an den hiesigen Regeln vorbei.
Dass die Kommission also davon spricht, dass es um Vertrauen in und Akzeptanz für die neue Technologie geht, die etwa selbstfahrende Autos ermöglichen soll, ist viel zu vorsichtig gedacht. Das Gegenteil ist richtig: Die Akzeptanz wäre wohl viel höher, wenn die Menschen wüssten, dass in der EU keine Waffensysteme, die kraft ihres Algorithmus Menschen töten können, entwickelt oder verkauft werden dürften. Wenn klar gesetzlich festgelegt wäre, dass informiert werden muss, und zwar bevor eine KI die Entscheidung über eine Bewerbung oder Kreditwürdigkeit trifft.
Weiche Leitlinien statt harter Regeln sind allein im Interesse der Industrie, die in der EU-Expertengruppe auch kräftig mitmischen darf. Deren zweites Interesse: Wenn Regeln, dann möglichst spät. Dann sind die Produkte schon auf dem Markt, dann kann man mit Umsatzzahlen argumentieren, vor Jobverlusten warnen und mit Abwanderung drohen.
Die Chance, all das zu verhindern und einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, wäre: genau jetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation