Kommentar EU und das CETA-Abkommen: Misstrauen mit Folgen
Die EU will nun doch die nationalen Parlamente zum Ceta-Abkommen befragen. Ist das demokratischer? Ein Pro & Contra.
Pro: „Die Zustimmung des EU-Parlaments reicht nicht“
Sicher, in einem vereinten Europa, von dem wir alle träumen, wäre es überflüssig, alle nationalen Parlamente über irgendwelche Handelsverträge der EU abstimmen zu lassen. Aber in dem zerstrittenen Europa, in dem wir leider leben, ist das dringend nötig. Deshalb ist es gut, dass die EU jetzt doch alle Mitgliedstaaten einzeln zu dem Ceta-Abkommen mit Kanada befragen will. Ja, auch wenn das lange dauert – und ja, auch wenn das bedeutet, dass Ceta dann vielleicht niemals in Kraft tritt.
Das Ceta-Abkommen hätte weitreichende Folgen für alle EU-Bürger. Es ist, wie alle wissen, nur das Vorspiel für TTIP, das große Abkommen mit den USA. Beide Verträge sollen das Verhältnis von Konzernen und Staaten neu bestimmen. Viele Bürger haben den Verdacht, dass hierbei die Konzerne mehr und die Staaten weniger Macht bekommen werden. Die neuen interkontinentalen Abkommen erscheinen manchen Europäern inzwischen fast so gefährlich wie interkontinentale Atomraketen.
So übertrieben diese Sorgen sein mögen: Was genau herauskommt, weiß keiner, weil die Verhandlungen weitgehend geheim ablaufen. Umso problematischer wäre es, den Widerstand auch noch durch eine möglichst schnelle Mehrheitsentscheidung in der Zentrale auszubremsen. Angesichts des ohnehin großen Misstrauens gegen die EU, zwischen Brexit und Österreich-Wahl, wäre ein solches Vorgehen geradezu selbstmörderisch.
Die Zustimmung des EU-Parlaments reicht nicht, weil es von vielen Europäern nicht als ausreichende Volksvertretung wahrgenommen wird. Ob das formal stimmt oder nicht: Entscheidend ist der Eindruck. Die meisten Bürger ahnten bei den letzten EU-Parlamentswahlen nicht, dass dort wirklich Wichtiges entschieden wird. Entsprechend niedrig war die Wahlbeteiligung, entsprechend gering wäre die Akzeptanz einer Entscheidung nur im EU-Parlament. Das Risiko wäre zu hoch, dass darauf eine Katastrophe folgen könnte: der Austritt weiterer EU-Staaten. Lukas Wallraff
* * *
Contra: „Eine Demontage der Demokratie in Europa“
Die Gegner des Ceta-Abkommens sind zufrieden, weil nun doch auch alle nationalen Parlamente der Europäischen Union dem Freihandelsabkommen zustimmen sollen. Dies mag inhaltlich ein Erfolg sein, für die europäische Demokratie bedeutet es nichts Gutes. Denn diese vordergründig nach mehr Demokratie klingende Entscheidung demontiert in Wahrheit die Demokratie in Europa. Anders gesagt: Mit dieser falschen Entscheidung gießt die EU-Kommission Wasser auf die Mühlen ihrer rechtspopulistischen Gegner, die zurück in ihre nationalen Schneckenhäuser streben.
Die alleinige Abstimmung durch das Europäische Parlament hätte eben kein Demokratiedefizit dokumentiert – im Gegenteil. Dieses Parlament ist demokratisch gewählt worden und dazu da, um über gemeinsame europäische Angelegenheiten zu entscheiden. Welche Gründe sollte es geben, ihm diesen Anspruch abzusprechen? Soll das EP etwa weniger zu bestimmen haben als 27 Einzelinstitutionen?
Wer es richtig findet, dass nationale Parlamente bei europäischen Entscheidungen mehr bestimmen sollten, weil es gerade um die Herzensangelegenheit des Ceta-Abkommen geht, dokumentiert ein taktisches Verhalten gegenüber dem bisschen Demokratie, das wir auf europäischer Ebene besitzen. Er macht das EP zu einer Volksvertretung minderer Güte, dessen Entscheidungen nicht zu trauen ist, so als ob der Bundestag oder die französische Nationalversammlung für eine wahrere Volksvertretung stünden.
Nach der Brexit-Entscheidung wäre es an der Zeit, Flagge zu zeigen. Ja, die europäische Demokratie ist unvollständig. Aber es ist fatal, wenn diese noch weiter geschwächt wird, weil wir glaubten, damit EU-kritischen Nationalisten einen Gefallen zu tun. Das einzige Ergebnis wird sein, dass die Akzeptanz der EU und ihres Parlaments noch weiter unterhöhlt wird. Klaus Hillenbrand
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz