Kommentar Briten und Syrien: Sternstunde des Parlamentarismus
Das britische Unterhaus lehnt ein Eingreifen in Syrien ab und spiegelt die aktuelle Stimmung im Land: Der Rest der Welt soll die Insel in Ruhe lassen.
D ie Ablehnung einer britischen Beteiligung an einem internationalen Militärschlag in Syrien durch das britische Unterhaus war, egal wie das Ergebnis bewertet wird, eine Sternstunde des britischen Parlamentarismus. Großbritanniens Premierminister David Cameron wollte mit Syrien alles besser machen als einst Tony Blair mit Irak.
Er schaltete das Parlament ein, wollte sogar zwei Voten gewähren. Die Debatte war intensiv und sehr ernsthaft, und am Ende lehnten nicht nur die Opposition, sondern auch ein großer Teil der eigenen konservativen Partei, darunter eine ganze Reihe von als Nachwuchsstars gefeierten Hoffnungsträgern, die Beschlussvorlage der konservativ-liberalen Regierungskoalition ab, obwohl die noch gar keine Intervention absegnen sollte, sondern nur das Prinzip.
Das spiegelt die aktuelle Stimmung in Großbritannien wider, dass der Rest der Welt einen gefälligst mal in Ruhe lassen soll. Seit Jahren predigt die Regierung Cameron, der Staat habe kein Geld. Seit Jahren gilt der Konsens, Blairs globale Abenteuer hätten die Vernachlässigung der heimischen Probleme befördert, und es sei Zeit, das Ruder herumzureißen.
Die euroskeptische und rechtspopulistische United Kingdom Independence Party lief den Konservativen bei den Kommunalwahlen im Mai um ein Haar den Rang ab, und ihre Anhänger gelten als die allergrößten Interventionsskeptiker. Massive Skepsis von rechts, gekoppelt mit dem tief sitzenden Anti-Blair-Reflex auf der Linken – gegen die Große Koalition der Isolationisten konnte Cameron nicht bestehen.
Mit der TV-Debatte am Sonntag beginnt die heiße Phase des Wahlkampfs zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück. Ulrich Schulte und Anja Maier stellen ein Paar vor, das ungleicher nicht sein könnte. Den Kandidaten-Check lesen Sie in der taz.am wochenende vom 31. August/1. September 2013 . Darin außerdem: Was ist konservativ? Auf der Suche nach einer politischen Strömung, die zum Rinnsal geworden ist. Und: Soll man anonyme Kommentare im Netz verbieten? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Nun also hält sich das konservativ regierte, atlantisch orientierte Großbritannien militärisch aus Syrien heraus, während das sozialistisch regierte, europäisch orientierte Frankreich weiterhin einzugreifen gedenkt. Irgendwie hat das seine Richtigkeit. Skeptische Zurückhaltung aus London gegenüber auftrumpfender Entschlossenheit aus Paris – jede Nation bleibt dem Klischee von sich letztendlich doch irgendwie treu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich