Kommentar Biokraftstoffe: Ein Lehrstück
Die Parteien vernachlässigen eine wesentliche Debatte: wie eine lebenswerte Gesellschaft mit weniger Mobilität und weniger Konsum aussehen könnte.
D er Umgang mit Biokraftstoffen kann als Lehrstück verfehlter Industriepolitik gelesen werden. Erst gilt das Rapsöl im Tank als Retter in der Klimanot. Von der Politik gefördert, wächst eine Branche, Raffinerien entstehen, kilometerlang leuchten die Äcker in Gelb. Dann werden die Kosten der neuen Technik deutlich: Energiepflanzen treten in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln und zu ökologisch notwendigen Brachflächen oder Regenwäldern - und die Energiebilanz ist auch nicht wie erhofft. Schließlich: Der Industrie wird die Förderung und damit die Existenzgrundlage entzogen. Viele der kleinen und mittleren Unternehmen - die die Branche dominieren - werden das nicht überleben.
Trotzdem ist das Gesetz zur Förderung von Biokraftstoffen, das der Bundesrat an diesem Freitag wahrscheinlich durchwinken wird, vernünftig. Die Technologie verdient keine herausgehobene Förderung, dazu hat der Pflanzendiesel zu viele ökologische, technische und soziale Nachteile. Längst arbeiten Wissenschaftler und Unternehmen an Kraftstoffen aus Biomasse, die mehr Energie liefern, nicht auf essbare Pflanzenöle zurückgreifen müssen und bessere technische Eigenschaften aufweisen, also die Motoren von Fahrzeugen schonen.
Hier forschen, aufgrund der hohen Investitionskosten, vor allem die großen Mineralölkonzerne. Wirklich zukunftsfähige Pflanzentreibstoffe wird man in großindustriellen Strukturen produzieren, die kleinen Ölmühlen sind dieser Herausforderung nicht gewachsen. Auch wenn das unsympathisch ist: Mit dem Biodiesel - der diesen Namen zu Unrecht trägt - bieten sie keine Zukunftstechnologie.
Wenn die Biodiesel-Geschichte also etwas lehrt, dann, dass Vorsicht geboten ist, wenn eine technische Innovation den Ausweg aus den Problemen verspricht, die das fossile Zeitalter geschaffen hat. Trotzdem fokussieren die Parteien die Diskussion immer wieder auf technische Lösungen - siehe etwa die der Kohlendioxidabspaltung CCS - und vernachlässigen dabei eine wesentliche Debatte: wie eine lebenswerte Gesellschaft mit weniger Mobilität und weniger Konsum aussehen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene