■ Neu im Kino: "Equinox": Kombiniere: Doppeltes Spiel!
Neu im Kino: „Equinox“
Kombiniere: Doppeltes Spiel!
Zur Tag- und Nachtgleiche, also zur Zeit des Equinox, treffen die Zwillinge zum ersten und einzigen Mal aufeinander. Henry und Freddy sind selbst wie Tag und Nacht: der eine ängstlich, schüchtern und gutmütig, der andere stark, rücksichtslos und böse — Henry Yin und Freddy Yang. Nach diesem Grundprinzip hat Regisseur Alan Rudolph seinen Film konstruiert.
Der Plot ist kunstvoll verschachtelt und voller Spiegelungen, Entsprechungen und Gegensätze: offensichtlich, wenn vom Gulaschteller des einen auf das Sushi seines Bruders geschnitten wird, aber auch versteckt und mehrdeutig wie in den unterschiedlichen Rhythmen des Schnittes oder Farb- und Lichtkontrasten.
Man braucht als Zuschauer eine Weile, um die Spielregeln des Films zu erkennen, denn die einzelnen Erzählstränge werden eher durch indirekte Hinweise und Stimmungen deutlich. Aber auch wenn das Fährtensuchen und Kombinieren viel Spaß macht, wird es nie zum Selbstzweck. Denn obwohl Rudolph eher am Konzept als an der Handlung interessiert ist, sind die einzelnen Personen mit ihren Eigenheiten und besonders ihren Sehnsüchten so intensiv gezeichnet, daß man in ihre Geschichten hineingezogen wird, obwohl man ihnen nie ganz auf die Spur kommt: „Die Logik seiner Filme folgt nicht der Logik der konkreten Geschichten, sondern der Logik des Gefühls“ (Presseheft).
Wie sein Ziehvater Robert Altman zeigt Rudolph keine Hollywood-Standardtypen, sondern Menschen auf der Leinwand. So haben in Equinox alle Figuren ein Eigenleben, das oft nur in kleinen Einzelheiten angedeutet wird und so jeder Einstellung eine faszinierende Intensität verleiht.
Wie in seinen besten Filmen („Choose me“, „Trouble in Mind“ und „The Moderns“ ) schuf Rudolph auch für „Equinox“ eine eigenartige Scheinwelt: mit exquisitem Geschmack ausgestattet, voller Chiffren sowie ganz und gar künstlich. In diesen unwirklichen Szenerien wirken die Schauspieler fast hyperreal. Und auch hier ist Altmans Einfluß noch spürbar: Rudolph hat sein gutes Gespür für Schauspieler geerbt. Auch alle Nebenrollen sind ideal besetzt, und Matthew Modine setzt mit seiner brillianten Leistung in der Doppelrolle als Henry und Freddy einen hohen Standard, den das gesammte Ensemble halten kann.
Wegen der atemberaubend fotographierten Endsequenz hätte zu diesem Film der Titel „Grand Canyon“ viel eher gepaßt als zu der Hollywoodproduktion von Lawrence Kasdan. Dann hätte Rudolph es vielleicht auch an den Kinokassen etwas leichter gehabt, denn wer sieht sich schon einen Film an, wenn er vorher im Wörterbuch nachschlagen muß, um den Titel zu verstehen? Wilfried Hippen
Cinema, täglich 21 Uhr
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