: Kolumne Rock ist tod
Eigentlich ist es ganz passend, daß sich die Sex Pistols gerade in diesem Jahr reformiert haben. Vor zwanzig Jahren zogen sie aus, um die Rockmusik zu töten. Damals fehlte es ihnen an Geduld und Kraft. 1996 können sie sich aber in aller Ruhe und Gemütlichkeit, die 40 Jahre Menschsein so mit sich bringen, umsehen und feststellen, daß sich die Sache von selber erledigt hat.
Ja, Rockmusik ist tot, und, nein, ich höre tatsächlich keinen Widerspruch, nicht mal von der letzten Bank. Rock ist heute eine Angelegenheit von Senioren bei der neuntausendsten Deep-Purp-le-Reunion oder von Markenartiklern bei ihrer neuesten alternativen Lieblingsband. Aber der allgemeine Konsens – und dazu muß man noch nicht mal ins Vergangenheits-verrückte Britannien schauen – besagt: Rock, das ist eine Sache der Vergangenheit.
Ich kann nicht sagen, wann mich zuletzt eine Rockplatte so richtig begeisterte – möglicherweise waren es Evan Johns & The H-Bombs. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, daß die künstlerische Halbwertszeit einer Rockplatte reziprok zum Alter des Genres abnahm. Sicher sind auch altgediente deutsche Kulturredakteure und musik-desinteressierte Auflagen-Zyniker daran schuld, daß Kurt Cobains Tod keine Prime-Time-Nachrichtensendung schaffte, während das Ableben des Jimi Hendrix in der Tagesschau verkündet wurde. Und daß eine Stromgitarre und Hendrix Gesicht den Titel des neuen Fischer Rock Lexikons zieren, wobei dessen Haare in finsterster Mitt-Siebziger-Design-Ideen-Manier zu Kabeln werden. Und daß eine Beck-Geschichte aus dem Musikteil einer bundesweiten Zeitschrift mit eher jugendlicher Leserschaft katapultiert wird, weil sich der TV-Magazin-geschulte Chefredakteur plötzlich entsinnt, daß Konzerte der Altkröte Tina Turner anstehen.
Was den Knaben, nebenbei bemerkt, nicht nur als weltanschaulich im Reich des Bösen angesiedelt entlarvt, sondern auch als journalistischen Versager. Denn selbst die Zigtausend, die, statt ihr hart erarbeitetes Geld sinnvoll auszugeben, sich die Erlaubnis erkaufen, einer dieser albernen Veranstaltungen beizuwohnen, brauchen sich nicht nochmal von einer Zeitschrift die Hits der Dame aufzählen zu lassen. Die ganzen tollen, weil privaten und schmutzigen Storys standen ja schon exklusiv in ihrer Autobiographie.
Aber es bäumt sich auch niemand mehr dagegen auf und es verdichtet sich der Eindruck, daß junge Bands sich allzu bereitwillig, auf das von der Plattenindustrie vorgegebene Millionenspiel einlassen, und keine Kraft, aber auch keinerlei Willen zu Widerstand besitzen.
Also, Kinder, seht euch nochmal diese WDR-Rocknächte an! Geht nochmal in die Konzerte, wo mitteljunge Menschen mit altbewährten Gesichtsausdrücken zum abertausendsten Mal altbekannte Zornesposen mittelmäßig nachschauspielern! Denn das war's. Rock, das ist ein Ex-Stil, ein gewesener Stil, so tot wie Swing, Dixieland und Schlager. Schluß, aus und vorbei.
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