Kolumne Press-Schlag: Die Liga der Volldeppen
Die Jusos verteilen politische Postkarten vor dem Westfalenstadion. Nicht wenige regen sich darüber auf. Warum eigentlich?
D er Wahlkampf ist vor den Stadien angekommen, wackere Jungsozialisten haben am Samstag ein paar Postkarten vor dem Stadion in Dortmund verteilt. Kanzlerin Angela Merkel schüttelt auf ihnen dem Unternehmer Uli Hoeneß die Hand, und drüber steht: „Glückwunsch, Uli! Wir steuern das schon“.
Das kann man witzig finden und sich freuen, dass der gute alte Klaus Staeck, der die Karten designt hat, bei jungen Sozialdemokraten (gibt’s wirklich) so gut ankommt. Man darf sich auch ärgern, wenn man wirklich unbedingt will, dass Merkel weiterregiert. Bloß ein Anlass zur Aufregung ist es im Grundrauschen des gemächlich anrollenden Wahlkampfs nun eigentlich nicht. Eigentlich.
Denn nicht wenige nennen die Kartenverteilerei einen Skandal, und Liga-Präsident Reinhard Rauball, selbst ein SPDler, sieht gar das Fairplay verletzt, weil so der gute Uli Hoeneß schon vor einer möglichen Verurteilung als Steuerhinterzieher ungerecht behandelt werde.
Rauball ist nicht der Einzige, der der SPD vorwirft, mit Stimmungsmache gegen Hoeneß Stimmen einfahren zu wollen, und vergisst dabei, dass am 22. September Uli Hoeneß ja gar nicht zu Wahl steht, sondern Angela Merkel. Und warum eigentlich sollte es verboten sein, darauf aufmerksam zu machen, dass sich Uli Hoeneß und Angela Merkel besser verstanden haben, als das für das Gemeinwesen vielleicht gut ist?
Sind Autofahrer schlauer?
Und eventuell erinnert sich beim Anblick der Postkarte ja jemand daran, dass sich der Präsident des FC Bayern am Tag, an dem er beschloss, sich selbst wegen Steuerhinterziehung anzuzeigen, mit der Kanzlerin zum Mittagessen getroffen hat. Auf derartige Zusammenhänge darf man schon einmal aufmerksam machen im Wahlkampf, da hat SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück sicher recht.
Aber darf man das überall? Sogar vor Fußballstadien? Oder müssen die Fans vor dem Wahlkampf mit all seinen möglicherweise manipulativen Winkelzügen geschützt werden? Die Aufregung über die linken Postkartenverteiler zeigt einmal mehr, welch elenden Ruf Fußballfans immer noch haben. Gewiss gibt es genug Volldeppen, die ins Stadion gehen.
Die rassistischen Pöbler, die beim Spiel 1860 München gegen den FC Ingolstadt vor einer Woche nicht zu überhören waren, sind Beleg genug dafür. Aber deswegen muss man nicht gleich allen Fußballfans das Urteilsvermögen absprechen. Warum wird Stadionbesuchern nicht zugestanden, sich eine eigene Meinung zu der Hoeneß-Merkel-Karte zu bilden? Man hält sie schlicht für zu blöd. Sogar der gute Herr Rauball hält offenbar nicht viel von seiner eigenen Kundschaft.
Und all die Blöden, die sonst so unterwegs sind im Land, wieso schützt die eigentlich niemand vor dem Wahlkampf? Müssten wir uns nicht eigentlich über jeden Wahlkampfstand in einer Fußgängerzonen aufregen? Und wieso ist es überhaupt erlaubt, entlang viel befahrener Straßen Wahlplakate anzubringen? Weil Autofahrer besser mit politischer Propaganda umgehen können als Stadionbesucher?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern