Kolumne Politik von unten: Inhaltliches Rüpeln und Augenzwinkern
Es pisste mich einfach an, wie die Debatte über unseren Wohlstand und den "freien Welthandel" verstummte, als Köhler zurücktrat. Spätnachts schrieb ich dann die Köhler-Satrieseite.
A uf der Unternehmensseite www.horst-koehler-consulting.de bietet unser Ex-Präsident seine Expertise in der Außenpolitik an. Ich schrieb diese Seite spätnachts nach einem Kneipengang, um augenzwinkernd und zuprostend gegen das politische Klima zu rüpeln. Die Seite hat mehr ins Rollen gebracht, als ich erwartet habe: Sieben Stunden nachdem sie online war, erfuhr ich verkatert, dass Twitter-Lawinen und massenhafte Zugriffe den Server meines Providers fast zusammenbrechen ließen.
Ständig klingelte mein Telefon, JournalistInnen fragten mich nach meinen Motiven, mein E-Mail-Postfach wurde überflutet. Sogar ein Köhler-begeisterter Verwaltungsbeamter pöbelte zurück, schickte Abmahnungen an meinen Provider. Ein gelungener Fake, all mein Respekt, wir wären fast auf ihn hereingefallen - denn er schrieb aus dem Bundesverwaltungsamt und vergaß, seinen Brief als Satire zu kennzeichnen. Schade drum, die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen ihn.
Doch all dieses Trara lässt schnell vergessen, worum es eigentlich ging. Ich ziehe mir gern meine beige Korinthenkackermütze und weiße Tennissocken an und rufe zum Pöbeln auf. Lasst uns die politische Debatte, die Köhler mit seinem Bandwurmsatz zur Aufgabe des Militärs in Afghanistan angestoßen hatte, fortführen.
ist Politikstudent, Kinderclown und Friedensaktivist.
Es pisst mich an, wie die verstummte, als er zurücktrat: kein Wort mehr von der historischen Entstehung politischer Grenzen und deren Zusammenhang mit nationalem Außenhandel. Kein Wort davon, dass immer mehr Menschen glauben, dass Wachstum per se notwendig sei, es national geschützt und notfalls mit militärischen Mitteln verteidigt werden müsse.
Über die Jahre wurde die Bundeswehr von einer kleinen Verteidigungsarmee zu einer Interventionsarmee. Wieso ihre Soldaten dann ermuntert werden, mit Wumme und deutschem Pass nach Somalia zu robben, um "den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern", wie es hochamtlich im Weißbuch zur Bundeswehr steht, kann kein Papa überzeugend erklären.
Die Zusammenhänge sind komplex. Ich verstehe das alles nicht auf Anhieb und bin dankbar, wenn ein Präsident, genauso verwirrt wie ich, das in die Welt posaunt und damit die Debatte über eine solche Wirklichkeit entfacht.
Doch die Frage nach der Aufgabe der Bundeswehr im Ausland wurde durch seinen Rücktritt abgewürgt. Diese Egomanie von Köhler und Konsorten überschattet politische Inhalte. Wir sollten uns selbst nicht zu ernst nehmen. Politische Inhalte aber schon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich