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Kolumne ParallelgesellschaftIch will doch nur ein Visum

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Wer sich auf russischem Hoheitsgebiet befindet, muss mit vielem rechnen: Vor allem mit unfreundlichen Menschen.

A llein diese Gesichter vor dem russischen Konsulat in Berlins Mitte. Gucken die fünfzig Menschen ängstlich, weil allein das Gebäude, das sich zur Prachtstraße Unter den Linden wie ein prunkvolles Monsterschloss ausnimmt, auf der Rückseite so kalt wirkt?

Bild: taz

Jan Feddersen ist Redakteur bei der sonntaz.

Ist es Zufall, dass genau gegenüber an der Behrenstraße ein Plattenbau steht, der irgendwie auch in einer Bukarester Vorstadt oder eben im früheren Ostberlin stehen könnte?

Ich jedenfalls will ein Visum für einen achttägigen Trip nach Moskau - kann doch nicht so schwer sein, in die, so Google, "angesagteste Stadt der Welt" zu gelangen. Am Eingang eine plötzliche Eingeschüchtertheit bei mir. Darf ich? Sollte ich? Müsste ich? Die Umgangsformen der Konsularbeamten an der schweren Eingangstür scheinen noch aus ganz alten Zeiten zu stammen. Nach oben gehen! Fragen oben! Formulare!

Aber welch eine schöne Überraschung, im ersten Stock von einem Sicherheitsmann eine Nummer zu bekommen, mit der man sich an Schalter zwei melden kann. Ein schlechtes Gewissen stellt sich ein, mit dieser Nummer überspringe ich locker fünf Dutzend Wartende, alle mit erschöpften Gesichtern. Ich fülle die Formulare aus, habe auch noch daran gedacht, dass man eine Krankenversicherung vorzeigen muss, die auch in Russland gilt.

Erschütternd dieser Gleichmut, mit dem alle ausharren, eine professionelle Behandlung wie ein Schicksal hinnehmen und eine böse Missachtung als ein ebensolches. Niemand meckert, wohl weil Mosern sofort als Renitenz gelesen würde - womöglich mit einer Strafe nicht unter siebenstündiger Warterei geahndet.

Ich bin dran.

Warum nur, verdammt, habe ich Angst, als der knuffige Mann hinter dem Schalter sich meiner Unterlagen annimmt? Weshalb diese Furcht vor einer unbegründeten Ablehnung meiner Reise nach Moskau? Woher die plötzlichen Gefühle von Nichtzugehörigkeit?

Der Schalterbeamte wünscht keinen guten Tag, schaut nicht auf, sagt nur kläffend: Nicht vollständig, wirft meinen Kram mittelwütend auf seine Plastikunterlage, füllt fehlende Angaben selbst aus, und ich fühle mich ausgeliefert. Eine Frau bietet mir Apfelschnitze aus einer Tupperware-Dose an, das erleichtere die Ungewissheit. Der Beamte fordert mich durch die fette Scheibe auf, an der Kasse 35 Euro zu bezahlen. Dort wieder eine Schlange. Und abermals die Fantasie eines anstürmenden Sortierkommandos, das alle Antragsteller zusammenschreit und für pure Erniedrigung sorgt.

Da stellen sich einem die Fragen: Warum hält niemand das Ausstellen eines Visums für einen Service, bei dem die Visasuchenden Kunden mit Anspruch auf Freundlichkeit sind, schließlich bezahlen sie ja auch den Grenzübertritt? Hat der Kunde überhaupt Rechte. Und, gruselig, gilt meine EC-Karte noch?

Aber ja, alles klappt. Zum Schalterbeamten von mir ein devotes Bekenntnis der Entschuldigung, falls man ihm Unbill bereitet habe. Ich hasse mich dafür.

Der Beamte sagt, nächstes Mal brauche ich nicht wieder zu kommen. Er nimmt das Angebot an, sich als der Stärkere zu fühlen - und zeigt es. Der Mann ist aus einer Welt von gestern. Lang lebe ein Russland der Moderne!

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

5 Kommentare

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  • PV
    Peter Voßwinkel, Moskau

    Zum diesjährigen Liederfestival machte sich Jan auf in eine andere Welt, nach Moskau! Seine Begegnungen mit der russischen Realität scheinen ihm offenbar schwer zugesetzt zu haben. Erst musste er die schwere Bürde einer Visabeschaffung (dank Steinmeier, die Russen wollten das längst abschaffen) im Konsulat der russischen Botschaft mit unfreundlichen Bürokraten über sich ergehen lassen und dann noch der erbarmungslose Moskauer Alltag.

     

    Insidern ist allerdings der noch rüderer Umgangston und Verhör Methoden ähnliche Bearbeitungsstil aus der deutschen Botschaft in Moskau bekannt. Der einfache russische Bürger wird dort permanent drangsaliert. Der kleinste Formfehler führt zur Visaverweigerung. Lange Wartezeiten und kostenpflichtige telefonische Terminvergaben Voraussetzung. Ein wirklich unwürdiges Verfahren für einen sog. freien Rechtsstaat.

  • J
    Jens

    Liebe taz'ler,

    schön, dass Ihr Eure Leser so zuverlässig mit Russengrusel versorgt, das kommt immer gut an, kostet nichts und macht kaum Arbeit - einfach tief in die Stereotypenkiste gegriffen und fertig. Aber seid doch bitte so ehrlich, auch mal ein kleines Horrorstück über die Behandlung russischer Antragsteller in deutschen Konsulaten zu veröffentlichen - die ist nämlich noch um Längen gruseliger.

    Jens

  • Z
    Zsolt

    Mich wundert nur, dass es als etwas Russisches vorgestellt wird. Die Behandlung von Antragstellern in deutschen Konsulaten übertrifft das Ganze um ein Vielfaches. Egal ob in Bern, Belgrad oder Budapest... Es wäre auch mal schön was darüber zu lesen.

  • SZ
    Stefan Ziersch

    Es wundert, daß sich noch jemand darüber wundert. Aber waren Sie schon mal als Russe im Deutschen Generalkonsulat in Novosibirsk? Extra angereist aus dem 5000 km entfernten Vladivostok? Weil "persönliches Vorsprechen" angeordnet ist. Und dann wieder weggeschickt, weil irgendein Schriebs aus Deutschland fehlt, von dem vorher nie die Rede war? Und dann muß man das Visum auch noch persönlich abholen. Also 5000 km nach Hause und nach einer Woche nochmal 5000 km wieder zum Konsulat. Da haben wir es doch leichter. Zumindest KANN man, wenn man lieber als Äquivalent für ein masochistisches Erlebnis ein paar Euro mehr zahlt, einfach einen freundlichen und hilfsbereiten Visumdienst mit der Sache beauftragen und alles geht plötzlich einfach und sogar per Post. Einfach mal "visa russland" googeln und einen Dienstleister seines Vertrauens aussuchen...

  • B
    Barbara

    Das kommt mir alles sehr bekannt vor...habe über acht Jahre in Prag gelebt und gearbeitet und musste jedes Jahr mein Visum beantragen... Die Beamten von der Ausländerpolizei haben nun 'mal die Macht zu bellen, wann sie wollen, und Stempel zu erteilen, wann es ihnen genehm ist. Aber man ist auch Bittsteller bei deutschen Behörden...vielleicht sollte man die Beamten abschaffen???