Kolumne Macht: Ein Kandidat, ganz bei sich
In der „Zeit“ gibt Sigmar Gabriel Einblicke in seine schwere Kindheit – und empfiehlt sich für die Zukunft. Zufall, so kurz vor der Niedersachsenwahl?
Wird man durch Beobachtung des politischen Betriebs hellsichtig? Oder zynisch? Das ist manchmal schwer zu unterscheiden.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte eine abscheuliche Kindheit. Sein Vater, ein Altnazi, misshandelte ihn psychisch wie physisch über Jahre hinweg. Anrührend wird davon jetzt in der Zeit erzählt – in der Absicht, dem Publikum einen nicht so sehr populären Spitzenpolitiker näher zu bringen und manches in dessen gelegentlich sprunghaftem Wesen aus seiner Biografie heraus zu erklären.
Das Ziel wird erreicht. Man empfindet Mitgefühl. Und fragt sich, ob es auf die eigene Herzlosigkeit hindeutet, wenn man das Gefühl nicht loswird, dass hier einer nicht nur von seiner Kindheit erzählt, sondern sich gerade für höhere Aufgaben empfiehlt. Ausgerechnet jetzt.
Eine Woche vor der Niedersachsenwahl
Natürlich würden Autor und Protagonist das bestreiten. In dem Artikel wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mehrere Begegnungen, verteilt über Monate, stattgefunden haben, bevor das Porträt gedruckt wurde. Dann ist der Erscheinungstermin gewiss reiner Zufall. Oder? Ein bisschen viel Zufall, eine Woche vor der Niedersachsenwahl, die nun doch spannender wird als lange von der SPD erhofft. Und gerade wo die Popularitätskurve von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück einen Tiefstand erreicht hat. Nach den Erfahrungen der letzten Wochen muss man wohl sagen: einen vorläufigen Tiefstand.
Mal sehen, was passiert, wenn es erst einmal ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen ist, dass Steinbrück im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp saß und dem Unternehmen offenbar politische Unterstützung für eine kostengünstige Energieversorgung zugesagt hat. Besonders pikant: gegen den Rüstungskonzern werden im Zusammenhang mit einem Stahlwerk in Brasilien immer wieder schwere Vorwürfe wegen Umweltsünden und Verstößen gegen Arbeits-und Menschenrechte erhoben. Für einen sozialdemokratischen Bewerber um die Kanzlerschaft, der gerne mit den Grünen koalieren möchte, kann das Thema noch ziemlich heikel werden.
Staatsmännisches Lächeln
Und wenn Niedersachsen von der SPD nicht gewonnen wird? Dann wird es eng für den Kandidaten. Sigmar Gabriel lächelt staatsmännisch auf der Titelseite der Zeit. Wenn ich Steinbrück wäre, dann würde ich dieses Foto sehr nachdenklich anschauen. Über einen langen Zeitraum hinweg hat die Zeit mehr als jedes andere Medium für den ehemaligen Finanzminister als Kanzlerkandidaten geworben. Aber schon der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff hat ja die Erfahrung machen müssen, dass auf die Loyalität von Zeitungen kein Verlass ist.
Peer Steinbrück ist allerdings zur Untätigkeit verdammt. Falls er angesichts des liebevollen Porträts seines Vorsitzenden ins Grübeln kommt, dann muss er das mit sich selbst abmachen. Angesichts des ernsten Themas einer zerstörten Kindheit würde es sich verbieten, aufkeimendes Misstrauen zum Gegenstand offener Erörterungen in SPD-Zusammenkünften zu machen.
Obwohl in der Geschichte die Tatsache, dass Gabriel nun mit seinem Privatleben an die Öffentlichkeit geht, auf eindrucksvolle Weise begründet wird: „Vielleicht muss er eben erst ganz zu sich kommen, bevor er den letzten Schritt gehen kann. Selbst antreten.“ Ach ja. Wann er wohl „ganz zu sich“ gekommen sein wird? Ob das Zeit-Porträt dabei hilft? Man wird es erfahren. Vielleicht schon bald.
Leser*innenkommentare
carli
Gast
jetzt heulen die neosozialen über ihre kindheiten,das hilft vielleicht-hoffen sie- aus dem stimmungstief. nächstens heult der steinbrück, weil seine oma so viel gelitten hat, muss er jetzt zu thyssen, oder wowereit kullern die tränen in der öffentlichkeit, sein onkel habe ihn vergewaltigt,deshalb könne er sich beim flughafen nicht konzentrieren.für wie doof halten doch die politiker die bevölkerung.
T.V.
Gast
Bekomm ich dann auch Medienrummel wenn ich erzähle, daß mein Vater Nazi war? So ein wunderschön trauriges Foto, da sind bestimmt keine Emotionen im Spiel.
Karin Bryant
Gast
......wenn alles andere nicht wirkt dann muss die harte Kindheit her.
xonra
Gast
Jo, Steinbrück macht auf Rampensau und verabschiedet sich kurz bevor die ersten Plakate gedruckt werden. Mensch Gabriel übernimm (t) ....
Neronimus
Gast
Dass Gabriel sich angesichts des angeschlagenen Spitzenkandidaten auf der Ersatzbank positionieren könnte ist durchaus eine Überlegung wert.
Außerdem wäre Gabriel „roh“ besser als Steinbrück oder Steinmeier „gekocht“. Er wäre dann auch nur das kleinere Übel als einer von drei selbst ernannten Kandidaten der SPD.
Die SPD hat es versäumt, aus aus der Reihe ihrer verbliebenen 500.000 Mitgliedern – früher waren es fast 1 Million – demokratisch einen Kanzlerkandidaten zu wählen.
Könnte es sein, dass wenn die SPD so weiter macht, sich die Mitgliederzahl in den nächsten Jahren wiederum halbieren wird?
Nichtich
Gast
Na und?
eva
Gast
Die ZEIT schreibt durchaus, warum Gabriel jetzt damit an die Öffentlichkeit geht:
weil sein Vater gerade erst vor ein paar Monaten gestorben ist.
Erstens wollte er dies aus verständlichen Gründen nicht zu Lebzeiten seines Vaters.
Zweitens fanden sich erst im nach dem Tod des Vaters im Keller als genau die tausenden von Karteikarten und Büchern, um die es in dem Interview an zentraler Stelle geht.
Wenn die TAZ-Schreiberin den ganzen ZEIT-Artikel gelesen hätte, müßte sie nun etwas weniger im Dunkeln tappen. Lesen bildet halt.
cyctologie
Gast
kein halbes jahr her, da wurde gabriel in der taz als etwas dämlich dargestellt.
ihm würden viel zu viele dinge entgehen...etc.
nur mal so: ich habe da schon kommentiert, dass dem genialen strategen gabriel sicher nichts entgeht.
deswegen macht er nicht den bundes-hampel-kandidat gegen merkel.
als nächstes lässt er die luft aus der Kraft-meierin.
dann ist er ganz alleine die rettung.
"Messias Gabriel"....
ich warte auf den artikel...aber nicht mehr lange.
cya cyctologie
Gionaz
Gast
puuh, und ich dachte schon,
ich wär der einzige, der da eine verbindung gesehen hätte...
saalbert
Gast
"Für einen sozialdemokratischen Bewerber um die Kanzlerschaft, der gerne mit den Grünen koalieren möchte, kann das Thema noch ziemlich heikel werden." - Och, mit Schröder haben sich die Olivgrünen noch für ganz andere Dinge hergegeben, als Steinbrück sie sich einfallen lassen könnte, nehme ich an.
"... für den ehemaligen Finanzminister als Kanzlerkandidaten geworben..." - Na ja, Steinbrück ist immer noch ein Singular und kein Majestätsplural, also "Finanzminister als Kanzlerkandidat".