Kolumne Lost in Trans*lation: Weg von Tinder und auf die Straße
Die Gespräche bei Tinder verlaufen alle gleich und am Ende gibt es Dick Pics. Dann doch lieber klassisches Daten und Kennenlernen im Café.
A sia, eine alte Freundin von mir, kam mich neulich in Berlin besuchen. Wie alle in meinem Umfeld macht sich Asia Sorgen – wegen meines Sexlebens. Es existiert nicht. „Du warst doch früher nicht so. Was ist mit dir los? Du solltest dir schleunigst jemanden suchen“, sagte sie. „Ach, das ist Kismet, meine Süße“, winkte ich ab. Aber Asia war entschlossen und half mir in dieser Nacht, ein Date zu finden. Natürlich auf Tinder.
Ich lud meine coolsten Fotos hoch und fing direkt an, bei allen heißen Typen nach rechts zu wischen. Sollen die Matches kommen! Oh Gott, das macht echt abhängig. Ich konnte mich kaum bremsen und installierte noch die beiden anderen Dating-Apps OKCupid und Badoo. Macht es Spaß? Oh ja. Mit einigen Typen habe ich die ganze Nacht gechattet. Aber wenn ich daran denke, dass sich manche Paare wirklich auf Tinder kennenlernen und glücklich miteinander sind, fasse ich es nicht. Mir sind in diesen Apps keine Männer begegnet, die ich heiraten würde. Die Dialoge sind immer gleich:
Mann: Wow, du bist wirklich sehr sexy.
Ich: Danke.
Mann: Hast du WhatsApp?
Ich: Warum?
Mann: Ich will dir ein Foto schicken.
Und ihr wisst natürlich, was das für ein Foto ist. Meine Güte, niemand fragt auch nur nach meinem Namen, meiner Arbeit, meinen Hobbys, wo ich lebe … Denn in meinem Profil steht in Großbuchstaben TRANSGENDER und weil ich trans* bin, kann ich nur Sex wollen, denken sie, der Rest ist egal. Und was mir auffiel: Viele Männer in Berlin verwechseln Tinder mit Instagram. Sie posten Fotos von sich und ihren Partnerinnen, total absurd. Ich habe natürlich erst später geschnallt, was Sache ist, sie nennen es: „Grouping“.
Abgezischt wie Tinderella
Nun ja, lasst uns zum Punkt kommen. Natürlich habe ich ein Date gehabt, ayol. Ein gutaussehender junger Mann aus Südeuropa. Wir haben uns verabredet. Ich gehe natürlich davon aus, dass es wie in Istanbul abläuft. Der Typ holt mich mit dem Auto ab, wir gehen in ein schickes Restaurant, danach in eine Bar und so weiter. Aber was zur Hölle sagt er? „Lass uns im XX treffen.“ Dort treffen!! Geht gar nicht. Ay, ich sterbe. Fragt nicht nach dem Laden, es war eine „Kneipe“ in Kreuzberg. Er sitzt da, im casual look, mit einem RUCKSACK! Mamma mia.
Ich habe den Abend irgendwie überstanden, aber ich werde das ganze nächste Jahr nicht daten. Wir haben uns die Rechnung geteilt! Das ist überhaupt nicht mein Stil. Ayol, und dann sagt er noch: „Los, lass uns zu dir gehen.“ Geht’s noch? Okay, er kann gut küssen. Aber no, ich habe erzählt, dass ich in einer 8er-WG lebe, und bin wie Tinderella vor Mitternacht abgezischt.
Zu Hause habe ich alle Apps gelöscht. Was für eine seltsame Erfahrung! Wenn ihr jemanden kennenlernen wollt, geht bitte einfach vor die Tür. Sucht euch schöne Läden und geht regelmäßig dorthin. Ihr werdet sicher jemanden kennenlernen. Vergesst nicht, dass die Liebe auch nur Zufall ist. Es lebe die Straße.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich