Kolumne Kriegsreporterin: Damen ohne Unterleib
Charlotte Roche scheitert an Kirchgängern, die empört anrufen, weil im Fernsehen eine Frau sitzt, die es gewagt hat, ihren Unterleib zu inszenieren.
H allo, taz-Medienredaktion, könnt ihr mal aufhören zu glotzen!?!
Ja, ich habe mich camoufliert. Ja, es sah so aus, als müsste ich für die Recherche die Identität eines bekannten TV-Obdachlosen annehmen, obschon ich zunächst dachte, freie Journalistin, obdachlos, das ist so wenige Euros voneinander entfernt, es ginge auch so. Ging aber nicht. Und nun das. So schön das Bild in die taz finassiert, der Bart kratzt, die Läuse jucken, aber die Geschichte ist tot. Gestorben. Gerade eben. Totrecherchiert. An meinem Ohr. Das ist so, als gäbs die Megasause, wenn Schumi demnächst das erste Mal wieder um die Kurve fahren will, viele Zelte sind aufgebaut, die Fernsehanstalten tun so, als könnten sie live zu Jesus nach seiner Auferstehung schalten, und dann macht Schumis Auto dreißig Meter nach dem Start "put, put". So ähnlich fühle ich mich. All dressed up and nowhere to go.
Zu diesem kollateralen Stimmungsmief passt die soeben veröffentlichte Liste der "Initiative Nachrichtenaufklärung" (s. Medienticker). Sie führt von den Medien vernachlässigten Themen auf und enthält Burner wie: "Mangelhafte Deklarierung von Jodsalz in Lebensmitteln" (Platz 6). Natürlich finden sich darauf auch tolle Themen wie "Rechtswidrige Anwendung von Polizeigewalt" oder "Lücken der Finanzaufsicht bei Kirchen". Immerhin kann keiner klagen, dass das Thema "Sexueller Missbrauch in der Kirche" nicht ausreichend Widerhall findet. Oder "Streusalzmangel in Kommunen". Auffallend ist, dass es nicht ein geschlechterpolitisches Thema auf die Liste geschafft hat. Was für unsere gleichberechtigte Gesellschaft spricht. Oder gegen die Listenschreiber?
Womit wir bei der ARD wären, die nun Eckart von Hirschhausen als neuen Pilawa vorgestellt hat - was zu der Frage führt, warum in den Öffentlich-Rechtlichen immer nur Männer fürs Großformat aufgebaut werden? Die Antwort ist natürlich ganz einfach: a) haben Frauen zu schrille Stimmen, b) wer sollte das denn sein?
Ja, eben, möchte man da antworten. Es gibt sie nicht, weil ihr Pappkameraden sie nicht aufbaut. Nicht herausfischt aus den Treibnetzen der Kleinkunstbühnen. Und selbst wenn mal eine dabei ist, die was Eigenes hat und sie (neben einem Mann) eine bedeutende Sendung moderieren darf, scheitert sie an ein paar aufgebrachten Kirchgängern, die empört anrufen, weil im Fernsehen eine Frau sitzt, die es gewagt hat, ihren Unterleib zu inszenieren. Nun ist Charlotte Roche eventuell nicht für das Großformat geeignet, aber es brächte das Fernsehen und die Gesellschaft weiter, Annie Sprinkle eine Talkshow moderieren zu lassen als Amelie Fried.
Und mit diesem Satz möchte ich gern beim Mediendienst von Peter Turi stehen, dem Steigbügelhalter der Schumachers, Winterbauers und Meyer-Luchts dieser Branche. Man kann auch die erste Hälfte weglassen und mit "Es brächte" beginnen, mein Foto sende ich gern zu. Ohne Bart. Ach, ich hätt jetzt gern was von dem geilen Zeug, das die Soldaten bekommen, damit sie sich in den unzivilisierten Ländern nicht so anstellen, wenn sie mal einen abknallen müssen. Oder einen Schulbus sprengen. Vielleicht sollte ich in dieser betrüblichen Lage das Angebot wahrnehmen, das mir über die TUI-Presseabteilung ins Haus geflattert kam: "Komparsen gesucht! Vom 29. Mai bis 8. Juni 2010 wird die beliebte ZDF-Serie ,Der Landarzt' auf der ,Mein Schiff' gedreht." Für nur 795 Euro (statt 1.395) kann man dann eine traurige, tageslichtlose Innenkabine buchen und "Schauspieler live erleben".
Mit einer dreifachen Lobpreisung des ZDF gebe ich zurück nach Berlin!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen