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Kolumne IdoleDer Berserker im Batikshirt

Am coolsten sind die, die eigentlich gar nicht cool sind. Warum eigentlich?

N ächste Woche kommt Jannik zu Besuch, der verrückte Norweger. Zwanzig Jahre ist es her, dass er sich am ersten Abend eines Pfadfinderlagers in einer spontanen Soloperformance am Lagerfeuer eine Flasche Ketchup in die Haare geschmiert hat und danach ein paar unschuldige Jungpfadfinder dazu animierte, gemeinsam im Wald Nacktfotos zu machen.

Heute lebt Jannik als Künstler in Oslo. Er stellt komplizierte Holzschnitte her, auf denen er seine Träume darstellt. Oft sieht man darauf erigierte Penisse. Große Brüste. Gesichtslose Monsterwesen. Da er an Epilepsie leidet und vom norwegischen Staat eine Art Versehrtenrente erhält, ist er finanziell unabhängig. Als ich Jannik zuletzt sah, hörten wir finnische 80er-Jahre-Hits aus einer Jukebox in einem tristen Multifunktionssaal auf der Insel Suomenlinna vor Helsinki. Es war Mitte Februar. Gerade lief "Lööpistä Lööpiin", ein autobiografischer Song des ehemaligen Skispringers Matti Nykänen. Der Titel heißt so viel wie "Von Schlagzeile zu Schlagzeile" und zeugt von Nykänens Beziehung zur Boulevardpresse. Ende der 80er-Jahre war Nykänens sportliche Karriere am Ende, sein Alkoholismus nicht mehr zu verbergen, und seine diversen Hochzeiten und Scheidungen wurden in der Presse ausgeschlachtet. Nykänens Zweitkarriere als Rockstar kam nicht recht in Schwung. Seine Autobiografie heißt denn auch "Grüße aus der Hölle", und auf dem Plattencover trägt er Vokuhila und Stonewashed-Karottenjeans.

Auch Jannik trifft in der Regel modisch eher bedenkliche Entscheidungen. Er ist einer der wenigen Menschen, die sich wirklich keinen Deut um ihre äußere Erscheinung scheren. Und ich meine das nicht affektiert Berlin-Mitte-mäßig. Nein, er trägt tatsächlich Trekking-Sandalen und Hawaii-Hemden. Dazu eine dicke, rahmenlose Kastenbrille - nicht das Jarvis-Cocker-Modell. Und trotz dieser Unmöglichkeiten gelingt es ihm, dabei eine gute Figur zu machen. Es ist wohl die resolute Geringschätzung, mit der er seine Garderobe und seine Frisur, einen unförmigen Mopp, behandelt, die ihn wahrhaft lässig macht.

Bild: sandra böhme

Kirsten Reinhardt arbeitet in der Online-Redaktion der taz.

Wir hörten also "Lööpista Lööpiin". Bei den ersten Klängen dieses pathetischen Schlagerhybrids sprang Jannik auf und begann in der Mitte des Raumes zu tanzen. Das heißt, er sprang auf und ab und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. An diesem Abend hatte er ein Hemd gewählt, das durch eine besondere Batiktechik ab Achselhöhe nach unten hin immer dunkler wurde. Es sah aus, als wäre es schweißgetränkt. Zu dem dramatischen Gesang Nykänans wirbelte Jannik seinen massigen Körper im Neonlicht des Saals herum und schwankte dabei bedrohlich.

Die Gäste am Nebentisch ließen Messer und Gabel sinken und starrten herüber. Trotz Matti Nykänen wurde es unbehaglich still. Es war offenkundig, dass man Jannik peinlich fand. Auch ich beobachtete seinen Derwischtanz mit einem mulmigen Gefühl. Da, er stolperte. Er würde doch nicht …? Doch da machte es schon rums!, und Jannik lag am Boden wie ein gefällter Baum. Er blieb eine Sekunde so liegen. Dann sah er herüber, lachte, rappelte sich auf und tanzte weiter.

Ich freu mich schon auf nächste Woche.

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