Kolumne Geht’s noch?: Kapitalismushintergrund
Der Bombenleger von Dortmund hatte wohl Unerhörtes im Sinn: Geld verdienen auf Kosten von Menschenleben. Das kannte man so bisher natürlich nicht.
N ichts ist spannender als Wirtschaft: Nach der vermutlichen Aufklärung des Bombenanschlags auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund erweist sich der alte Slogan der Wirtschaftswoche als geradezu prophetisch. Denn der Attentäter hat offenbar keinen islamistischen, sondern einen Börsenhintergrund.
Statt 72 Jungfrauen lockten ihn 3 Millionen Euro Rendite. Dafür hat er streng ökonomisch-rational gehandelt: Am besten verdient hätte er, wenn möglichst viele Dortmunder Spieler umgekommen wären. Nun ist das Entsetzen über diese Variante der Gewinnoptimierung groß. Geldverdienen auf Kosten von Menschenleben! Hat es so etwas jemals gegeben in der Geschichte des Kapitalismus?
Gegen die Kritik an der Entscheidung, das Spiel einen Tag nach dem Anschlag zu wiederholen, wurde eingewendet, es gebe nun mal zwingende Sachgründe (sprich: wirtschaftliche Notwendigkeiten), außerdem sei es ein wichtiges Zeichen gegen den Terror. Und was sagt uns dieses Zeichen nun? Dass die Wertschöpfungskette nicht unterbrochen werden darf, nur weil dabei ein paar Leute draufgehen? So viel zur Symbolik.
Natürlich ist die Tat von Dortmund in besonderer Weise erschreckend. Denn anders als etwa bei Lebensmittelspekulationen oder Finanztransaktionen in der Öl-, Textil- oder Technologiebranche gab es diesmal nicht abstrakte indirekte Opfer in irgendwelchen Entwicklungsländern, sondern es waren ganz reale Auswirkungen auf Champions-League-Ergebnisse zu befürchten, und da hört der Spaß nun mal auf. Einen solchen Anschlag auf unsere westlichen Werte können wir uns nicht gefallen lassen.
In Frankreich wird gewählt. Für Europa geht es um viel. Die taz.am wochenende vom 22./23. April setzt auf europäische Freundschaft – und hat die KollegInnen der französischen Libération eingeladen, die Zeitung mitzugestalten. Außerdem: Smartphones im Unterricht? Da kriegen manche Lehrer Ausschlag. Aber ist es vielleicht trotzdem die Zukunft? Ein Gespräch mit Schauspieler Tom Schilling über Krawatten und Mitte-30-Sein. Und: Philipp Maußhardt vereint die englische und die spanische Küche. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Observiert Christian Lindner!
Was aber tun? Muss der Verfassungsschutz künftig nicht nur islamistische Hassprediger, sondern auch Christian Lindner observieren?
Werden Börsianer demnächst als Gefährder mit elektronischen Fußfesseln gesichert?
Müssen die Waffengesetze auf Optionsscheine ausgeweitet werden? Und wird der Wirtschaftsteil der FAZ endgültig als Terrorpropaganda verboten?
Immerhin, eine neue Debatte über den Umgang mit Ausländern dürfte dieser Terroranschlag, obwohl der Täter Deutschrusse war, nicht auslösen. Denn anders als bei all den Islamisten kann man diesmal wohl festhalten: Integration weitgehend gelungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern