Kolumne Erwachsen: Wo sind die deutschen Weltstars?
Robert Harting ist der einzige Olympiastar made in Germany. In der Größenordnung Bolt spielt allerdings niemand. Das war mal anders, oder?
O lympische Spiele in Kalifornien finden ohne deutsche Sportler statt. Sie existieren in den USA nicht. Weder im Olympiasender NBC noch in den Zeitungen. Wer in Kalifornien die Spiele von Rio erlebt, hat den Eindruck, dass eigentlich nur Amerikaner mitmachen. Und ein paar Chinesen. Im Magazin der New York Times wurden immerhin die wichtigsten Sportler aller Länder vorgestellt. Deutsche waren nicht dabei. Das war der Moment, in dem ich mich fragte: Welcher deutsche Olympionike ist eigentlich ein Weltstar? Also ein richtiger, so wie Usain Bolt. Oder wer ist wenigstens in Deutschland ein Weltstar? Hm. Eine Art „Star“? Trotz längerem Grübeln kam ich nicht über Robert Harting hinaus. Das ist ein Diskuswerfer aus dem brandenburgischen Cottbus.
Ich dachte: Das war doch früher anders. Aber so oft ich auch mein westdeutsches Hirn anwies, die Heldengalerie der letzten 25 Jahre abzuspielen: Ich sah stets nur Dieter Baumann in Barcelona auf die Zielgerade einbiegen, an allen Kenianern vorbeifliegen und am Rest auch.
„Reisegruppe!“, rief ich: „Nennt mir unvergessene deutsche Olympiahelden.“ Aber sie sahen nicht mal von ihren technischen Geräten auf. Nach längerem Googeln kam ich auf fünf Namen: „Michael Gross!“, sagte ich. „Heike Henkel, Ulrike Meyfarth. Dr. Reiner Klimke. Ahlerich.“ Die Namen hatten sie nie gehört.
Ich sackte resigniert in den Whirlpool zurück, schloss die Augen und döste weg. Dann passierte etwas Seltsames. Plötzlich waren sie alle da. Heide Rosendahl. Hildegard Falck. Klaus Wolfermann. Bernd Kannenberg. Ingrid Mickler-Becker, Liesel Westermann, Dieter Kottysch. Konrad Wiernhier, Wilfried Dietrich, Klaus Glahn, Ulli Libor. Liselott Linsenhoff. Hans Günther Winkler. Rudolf Mang, der Bär vom Bellenberg, chancenlos gegen Wassili Alexejew. Sogar Hans Fassnacht, wie er im olympischen Becken unterging. Und selbstverständlich der unvergessene Karl Honz, wie er vor allen anderen 400-m-Staffeln um die Laufbahn des Olympiastadions bretterte. Und dann auf der Ziellinie zusammenbrach.
Alles München 1972.
Alles Weltstars.
Für mich.
Jetzt sagt mir bloß nicht, dass ich alt geworden bin. Das weiß ich auch selber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich