Kolumne Die Wahrheit: Das Land der langen Zungen
Manche Männer lassen sich den Penis verlängern. Andere die Zunge – aus durchaus unterschiedlichen Gründen.
I n Korea bringen Eltern ihre Kleinen zum Arzt und lassen ihre Zungen verlängern, wenn es an der englischen Aussprache des Buchstabens L hapert, denn sie sind davon überzeugt, dass perfektes Englisch unerlässliche Voraussetzung für die berufliche Zukunft sei. Aber wieso L? Thicher können thie mit langer Thunge dath englische "th" bether authsprechen. Aber das L? Und was wird dann aus dem S?
Zungenverlängerungen waren bisher vor allem aus Horrorfilmen bekannt. Der Drehbuchautor J. J. Abrams hat als 13-Jähriger vom Maskenbildner Dick Smith die Zungenverlängerung, die Linda Blair in "Der Exorzist" getragen hatte, mit der Bemerkung geschenkt bekommen: "Steck die Zunge in ein Glas mit Erdnussbutter, sieht lustig aus."
Man sollte annehmen, dass die th-gewohnten Zungen von Engländern lang genug seien, um das koreanische L korrekt auszusprechen. Weit gefehlt. Eine 19-jährige Studentin aus Beeston in Nottinghamshire hat sich eben wegen des L die Zunge verlängern lassen. "Der Buchstabe kommt im Koreanischen sehr häufig vor", sagte Rhiannon Brooksbank-Jones. "Er wird an einer etwas höheren Stelle im Mund gebildet als das englische L. Meine Aussprache war sehr ausländisch, aber dank der nun ein Zentimeter längeren Zunge klinge ich jetzt wie eine Koreanerin." Merkwürdig. Koreaner lassen sich die Zunge verlängern, um das englische L aussprechen zu können, Engländer lassen sich die Zunge verlängern, um das koreanische L aussprechen zu können. Vermutlich haben beide Nationen einen Knall.
Brooksbank-Jones hat sich die Sprache innerhalb von zwei Jahren im Selbststudium beigebracht und will nach dem Abitur Koreanisch studieren. Später will sie sich in Korea niederlassen, weil sie von dem Land besessen ist. Allerdings war sie noch nie dort. Sie wird unter all den langzungigen Koreanern zumindest anatomisch nicht auffallen.
Vielleicht wäre das die Lösung für Günther Oettinger. Der peinliche Politiker erklärte ja bei seinem Amtsantritt als EU-Kommissar für Energie in grandioser Selbstüberschätzung, dass jeder Deutsche Englisch beherrschen müsse, selbst der Facharbeiter an der Maschine. Dann hielt er seine erste Rede auf Englisch, und die war ein gigantischer Lacherfolg. Der Sprachkritiker Wolf Schneider bezeichnete Oettingers Rede als "das Grausamste, was man jemals in englischer Sprache auf der nördlichen Erdhalbkugel hören musste". Es lag wohl an Oettingers Zunge. Mit einer Verlängerung ist es bei ihm allerdings nicht getan, es muss eine Transplantation her.
Kandidaten für einen Zungentausch gäbe es genug. Bono zum Beispiel, der unsägliche Sänger der unsäglichen Dubliner Popkapelle U2. Damit wäre allen gedient. Oettinger könnte in der EU-Kommission sein Energieprogramm singend vortragen und unter den Kollegen eine Rücktrittswelle auslösen, Bono könnte in Stuttgart mit seinem Hit "Wo d Schdraßen koin Name hend" auftreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen