Kolonialismus-Ausstellung in Berlin: An der pädagogisch kurzen Leine
Das Deutsche Historische Museum arbeitet in einer Ausstellung den deutschen Kolonialismus auf. Meistens fehlen aber einordnende Bezüge.
Das Thema ist brisant, die Beteiligten stehen spürbar unter Druck. Lange haben die deutschen Museen den deutschen Kolonialismus eher sträflich vernachlässigt. Die koloniale Phase der Deutschen schien relativ kurz, sie dauerte von 1884 bis 1919. Und sie schien wirtschaftlich relativ unbedeutend, blieb, finanziell betrachtet, ein Zuschussgeschäft. Mit Untergang des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg gingen die Kolonien 1919 wieder verloren. Und danach überragten die Verbrechen des Nationalsozialismus alles bislang Dagewesene.
Die Abgrenzung von NS-Regime und Holocaust wurde zu Recht zum Fixpunkt der deutschen Erinnerungspolitik nach 1945. Lange war das antifaschistische Grundverständnis in beiden Deutschlands institutionell durchgesetzt, aber gesellschaftlich umkämpft. Dennoch scheint es nur logisch und überfällig, dass man sich nun auch stärker der Vorphase des Nazismus zuwendet. Etwa Rassen- und Überlegenheitstheorien, wie sie sich im kolonialen Blick um 1900 manifestieren. Die Regierungen Deutschlands und Namibias verhandeln ja auch seit Langem um eine Entschädigung für den Völkermord an den Nama und Herero im früheren Deutsch-Südwestafrika.
In Berlin hat das Deutsche Historische Museum (DHM) nun eine große geschichtspädagogische Schau eröffnet, in der aus kolonialismuskritischer Perspektive rund 500 Objekte aus historischen Sammlungen gezeigt werden. Gleich zu Beginn der Schau erzählt das Gemälde „Kilimandscharo“ von Walter von Ruckteschell etwa vom exotistischen Begehren der europäischen Kolonialisten. Über dem dunklen, blau-grünen Dschungel thront der mächtige, schneebedeckte Berg im Osten Afrikas. Ruckteschell diente später bei den deutschen Kolonialtruppen als Adjutant unter Paul von Lettow-Vorbeck. Sein Jugendbuch „Heia Safari“ (1920) sollte in der Folge wesentlich zu einem positiv besetzten deutschen Kolonialmythos bis 1945 beitragen.
Die Kuratoren des DHM konfrontieren Ruckteschells Kilimandscharo-Bild mit einem hinter Glas ausgebreitetem Sammelsurium von Objekten aus dem Arbeitszimmer von Heinrich Schnee. Elfenbein, Dolche, Büsten oder Fächer. Schnee war der letzte Gouverneur Deutsch-Ostafrikas. In den Begleittexten an den Wänden wird darauf hingewiesen, dass Schnees Objekte für „die Aneignung fremder Kulturen“ und „ein Ordnen der Welt nach europäischem Maßstab“ stehe. Komme hier bloß niemand auf falsche Gedanken, das DHM führt die Besucher lieber an der pädagogisch kurzen Leine.
An anderer Stelle ein weiteres Objekt, ein übles Züchtigungsmittel, für afrikanischen Zwangsarbeiter: die Nilpferdpeitsche. An Schauwänden finden sich Postkarten und Schwarz-Weiß-Fotografien deutscher Kolonialisten: „Zum Besuch beim Häuptling“. Eine große Stelltafel dokumentiert Feldpostkarten deutscher Soldaten. Die „Grüße in die Heimat“ sind zumeist kaum zu entziffern.
Frau mit Schlange im Zoo
Die Schau präsentiert auch die Unterzeichnungsakte der Berliner Afrikakonferenz von 1885. Ein prominentes Dokument, mit dem die Kolonialbesitzungen des Deutschen Reiches in Afrika, China und der Südsee von den anderen europäischen Großmächten anerkannt wurden. Reichskanzler Bismarck hatte sich lange gegen die Errichtung der „Schutzgebiete“ gewehrt. Er wollte den internationalen Handel deutscher Firmen absichern, nicht aber in die Etablierung einer teuren Kolonialherrschaft investieren.
Die „Schutzgebiete“ mit ihrer Ausweitung deutscher Siedlungs- und Militärtätigkeit brachten auch ein Problem für deutsches Reinheits und Überlegenheitsgefühl mit sich: Sex, Liebe und „Rassenmischung“. Die wilhelminische Kolonialverwaltung erließ von daher entsprechende Gesetze zur Segregation. Doch wie die Schau zeigt: Die Beziehungen ließen sich nicht komplett unterbinden. Nachkommen aus diesen Linien gibt es auch heute noch.
Galten Afrikaner im alten Europa eher als kindlich – man musste sie missionieren und erziehen –, so zeigt ein erhaltenes Plakat von der Berliner Ausstellung „Samoa. Unsere neuen Landsleute“ im Zoologischen (!) Garten 1900/1901 eine lasziv lockende Südseefrau. Eine grüne Schlange windet sich um ihren nackten, braunen Oberkörper. So stellte ein schwärmerischer Kolonialist die Verbindung zwischen Mensch, Natur und patriarchaler Schöpfungsgeschichte her.
Andere Aspekte der Ausstellung sind dem afrikanischen und dem chinesischen Widerstand gegen den deutschen Kolonialismus gewidmet. Allerdings fehlen zumeist einordnende historische Bezüge, etwa welche Herrschaftssysteme und Rivalitäten in den Gebieten vor der deutschen Kolonialisierung existierten oder warum einige einheimische Gruppen sich mit den Kolonialisten verbündeten und andere nicht. Unverständlich auch, warum eine Einordnung des deutschen Kolonialismus in den europäischen Kontext unterbleibt.
Moralisierende Kuratoren
Die Schau im DHM erinnert selbstverständlich an den Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika. Doch in welchem Verhältnis stand dieser zur Rassen- und Vernichtungspolitik der Nazis? Fragen über Fragen. Die Kölner Namibia-Schau von 2004 war da in sich bereits wesentlich konsistenter.
Stattdessen moralisieren die Kuratoren des DHM in ihren Positionen etwas zu stark. Am Ende mündet die Schau noch in dürre Behauptungen über eine angebliche Kontinuität kolonialer Herrschaft bis ins Heute. Will man sich etwa so leichthin gegen eine zu erwartende Kritik gewisser Gruppen aus dem identitären Lager wappnen, die gerade landauf, landab röstfrisch „Weißbrote“ verspeisen?
Die Berliner Kolonialismusausstellung zeigt, mit welcher Unbekümmertheit der überlegene deutsche (ja: weiße!) Mann seine Lanzenfahne in den afrikanischen oder südostasiatischen Boden rammte und die Länder in Besitz nahm. Doch die dahintersteckenden Mythen knackt sie nicht.
Eine Prunkvase mit dem Porträt Kaiser Wilhelms II. trägt auf dem Deckel die Inschrift „Suum Cuique“ („Jedem das Seine“). Die kitschige Rokokovase wurde 1891 anlässlich der Unterzeichnung des Helgoland-Sansibar-Vertrags angefertigt. „Jedem das Seine.“ Hat es und was hat es zu bedeuten, wenn gerade in einer anderen Berliner Schau („Der britische Blick“) im Gropius-Bau die historische Tür zum KZ Buchenwald mit selbiger Inschrift zu betrachten ist? Beim British Museum und den Büchern Neil MacGregors könnte sich das DHM noch einiges abschauen, wie sich Geschichte anhand von Objekten komplex und zugleich anschaulich erzählen ließe.
In der Ukraine kämpfen tausende junge Menschen freiwillig und ohne Bezahlung. Was die Feministin Maria Berlinska vom Hörsaal an die Drohnensteuerung treibt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 15./16.Oktober. Außerdem: Der Schriftsteller Heleno Saña erzählt im Interview vom spanischen Sommer der Anarchie, Whisky unter Franco und der Liebe auf den ersten Blick. Und: Ein Chip im Ohr soll bald zwischen allen Sprachen übersetzen. Werden Dolmetscher ab 2017 überflüssig? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Gegen Ende der Schau fällt noch ein „antikoloniales“ Solidaritätsplakat aus der DDR von 1961 ins Auge. Schlagzeile: „Ministerpräsident Patrice Lumumba ermordet“. Unterzeile: „Seine Mörder sitzen auch in Bonn.“
In diesem DDR-Plakat manifestiert sich eine bis 1989 vorherrschende Kolonialismuskritik der antiimperialistischen Linken in Ost – und West. Die BRD hatte nichts mit der Ermordung Lumumbas, des ersten Premiers des unabhängigen Kongo, zu tun. Doch wer „den“ Kapitalismus schlichtweg als Mörder sieht, die oder den ficht das alles nicht. Eine schlichte Denkweise, die sich hoffentlich nicht auf den heutigen Antirassismus überträgt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag