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Kollektive Fiktion

■ Der letzte Flop der TV-Quotenmesser stärkt die Gegner des "Marktanteilsmodells" bei der Konzentrationskontrolle

Eine sorgenfreie Zukunft tat sich auf am Horizont von München-Unterföhring, dem Sitz der Kirchgruppe. Endlich könnten die Medienanstalten nicht mehr ständig darauf herumhacken, daß Vater und Sohn Kirch eigentlich nur an zwei (statt vier) Fernsehsendern beteiligt sein dürfen. Geschickt eingefädelt, hatten sich vor zwei Monaten die politischen Fäden zum entscheidenden Knoten formiert: Alle (nein, fast alle) waren auf das „Marktanteilsmodell“ eingeschworen, das künftig die Konzentration bei den privaten TV- Sendern „kontrollieren“ sollte. Die MinisterpräsidentInnen der Länder sollten nun den gordischen Knoten zerschlagen, das Modell abnicken und in den Rundfunkstaatsvertrag aufnehmen.

Freie Fahrt für freie Sender?

Dann würde (fast) alles erlaubt sein. Jeder Konzern, ob Kirch, ob Bertelsmann, dürfte mit beliebig vielen Sendern bis zu 33 Prozent der ZuschauerInnen erreichen. Selbst die Kirchgruppe kommt heute – bei strenger Zählung – höchstens auf 28 Prozent.

Hinter dem ultraliberalen Plan standen (fast) alle Fernsehveranstalter. Die Kirchsender, natürlich, dazu Spiegel-TV (hört, hört! – im Spiegel selbst wird kräftig gegen Kirch geschossen), aber auch die Hauptgesellschafter von RTL: die Bertelsmann-Tochter Ufa und die luxemburgische CLT. Daß sich ausgerechnet RTL-Chef Helmut Thoma querlegte und das Modell mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 200 km/h auf Autobahnen verglich, schien noch Ende November eher eine Marginalie.

Hinter dem Marktanteilsmodell stand, natürlich, auch die CDU/ CSU. Doch da Rundfunk Ländersache ist, braucht der Staatsvertrag Einstimmigkeit unter den Ländern. Auch die schien kein Problem. Denn Wolfgang Clement, Strippenzieher der SPD- Medienpolitik, Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei und Schutzpatron des Bertelsmann-Konzerns, hatte sich längst mit Stoiber und den anderen auf Deregulierung geeinigt.

Da platzten, kurz hintereinander, zwei Bomben in die große Koalition. Die erste zündete Klaus Gärtner. Der Chef der schleswig- holsteinischen Staatskanzlei machte im Auftrag seiner Ministerpräsidentin Heide Simonis den Amtskollegen klar: nicht mit uns. Simonis war im Sommer aufgeschreckt worden, als die (zumindest von der Landesregierung) „Unabhängige“ Medienanstalt ihres Bundeslandes dem Thomas- Kirch-Sender Pro 7 eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellte (taz vom 6.1.95: „Der Prosilschein“). Nun hat sich auch Gerhard Schröder auf ihre Seite geschlagen, und in Nordrhein-Westfalen bläst Clement der Wind aus der Richtung seiner Landtagsfraktion ins Gesicht.

Die zweite Bombe war wohl eher ein Rohrkrepierer – sie zündete am 16. Dezember in den eigenen Reihen. Ausgerechnet die von den Fernsehsendern mit 16 Millionen Mark jährlich finanzierte Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) erbrachte den Beweis dafür, wie unzuverlässig die Quotenmessung – Grundbaustein des ganzen Marktanteilsmodells – sein kann. Ein monatelang unbemerkter Softwarefehler hatte falsche Daten ermittelt: angeblich hatte ein Teil der Testhaushalte immer nur RTL und RTL 2 eingeschaltet.

Letzte Woche nun trafen sich Experten und TV-Konkurrenten zum Gefecht auf dem Bonner Petersberg, geladen vom Europäischen Institut für Medienrecht und, wen wundert's, von RTL-Chef Thoma. Dort, wo sonst die Bundesregierung ihre Staatsgäste bewirten läßt, wurden noch einmal alle Zeugen für die Schwächen des Marktanteilsmodells aufgefahren, einschließlich des obersten Quotenmessers Michael Darkow von der GfK. Der mußte nun zugeben, daß es „eine Vielzahl möglicher Marktanteilsberechnungen“ gibt. Bisher seien zum Beispiel „die Bessergebildeten im Panel überrepräsentiert“ (arme ARD, wenn das auch noch korrigiert wird!). Und eine Quote von 17,1 Prozent habe in Wirklichkeit eine Schwankungsbreite zwischen 16,3 und 17,9 Prozent. Dennoch beschwor Darkow die Fernsehveranstalter geradezu, an seiner „allgemein anerkannten Währung“ festzuhalten. Warum, das drückte am besten Oliver Castendeyck, Leiter der Rechtsabteilung von Pro 7, aus: Die Quoten seien „eine kollektive Fiktion, von der alle profitieren“. Alle – das heißt die TV-Veranstalter, die bisher den Werbekunden immer weismachen konnten, ihre Messungen würden „härtesten sozialwissenschaftlichen Methoden gerecht“ – ganz anders als die Reichweiten- und Auflagenzahlen, die von den Printmedien präsentiert werden.

Folgerichtig warf SAT.1-Geschäftsführer Doetz dem Konkurrenten Thoma vor, sein „Amoklauf gegen Kirch“ gefährde die Interessen der Privatsender insgesamt und betreibe „das Geschäft der Printpresse“ – im Kampf um den Werbekuchen nämlich.

Jedenfalls betrieb man so – dankenswerterweise – das Geschäft der kritischen Öffentlichkeit. SPD- Staatssekretär Gärtner konnte angesichts dieser Selbstdemontage in aller Ruhe verkünden, die Marktanteilsmessung sei „nicht justitiabel“, einen Grundrechtseingriff (sprich, gegebenenfalls die Entflechtung eines Fernsehimperiums) auf dieser Grundlage zu beschließen sei „keinem Parlament zuzumuten“.

Die Sackgasse zurück in Richtung Ziel

Ob damit das Marktanteilsmodell wirklich „tot ist“ (Gärtner), muß sich noch herausstellen – schließlich wäre die Alternative der von allen ungeliebte Status quo. Immerhin führt die derzeitige Sackgasse die Diskussion zurück in die richtige Richtung: Wer keinen Freibrief für das Kirchimperium will, muß dafür sorgen, daß die bisher verschleierten Verflechtungen aufgedeckt werden und daß auch die Macht desjenigen, der auf den Filmen sitzt, nicht in juristische Vergessenheit gerät. Michael Rediske

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