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■ Zur Verabschiedung der AlliiertenKohl muß nach Treptow

Wenn es um die rechte Art des Feierns geht, läuft der Kanzler zur Hochform auf. Die Zeremonie ist für Helmut Kohl konstitutiver Bestandteil der Politik, in der symbolischen Handlung tariert er sein Machtgefüge aus. Es entspricht diesem Habitus, daß er bereits vor Wochen die Berliner Feierlichkeiten zur Verabschiedung der Alliierten zur Chefangelegenheit erklärte. Alle Beteiligten wurden zum Schweigen verdonnert, als handelte es sich um eine Staatsaffäre. Es ist und es wird keine. Das weniger, weil die nun beschlossenen Feierlichkeiten weniger skandalös wären, sondern weil in jahrelanger Kohlscher Praxis die verletzende Geste zur Normalität geworden ist.

Kohl ist ein Politiker, der mit Gesten nicht nur Politik macht, sondern bisweilen von ihnen beherrscht wird. Als er mit Ronald Reagan an den SS-Gräbern von Bitburg stand, war für ihn die Nachkriegszeit als Zeit der Schuld Deutschlands gegenüber den Alliierten abgeschlossen. Lange vor Zwei-plus-vier sollte nunmehr die Gleichheit unter Gleichen Normalität sein. Die Szene besiegelte auf nationaler Ebene, was der Kanzler als Gnade der späten Geburt zunächst nur für sich selber reklamiert hatte. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob die „nie verjährende Scham“, von der Kohl wenige Tage zuvor im KZ Bergen-Belsen gesprochen hatte, lediglich oberflächliche Konzession an die damaligen massiven Proteste gegen das Bitburg-Szenario war. Entscheidend für heute ist, daß Kohl bei dieser seiner ersten Ansprache in einem Konzentrationslager zwar nicht von den Sozialdemokraten und Kommunisten, wohl aber von den sowjetischen Kriegsgefangenen als Opfern sprach.

Nun wäre also die Zeit gekommen, auch diese Opfer zu ehren. Dazu getrieben wird Kohl sicher nicht aus eigenem Bedürfnis. Ziel ist vielmehr, in der Verabschiedung aller Alliierten symbolisch vor der Weltöffentlichkeit zu komplettieren, was in Bitburg noch auf deren Protest stieß: das Ende der Nachkriegszeit und der deutschen Sonderrolle. Während Kohls Streben auf den kommenden Status Deutschlands gerichtet ist, wollen die Russen die große alliierte Vergangenheit zu deren Ende nochmals aufleben lassen. Dazu gehört die Ehrung der Toten. Wer den Mitgliedern der Waffen-SS die Absolution erteilt, kann nun sein Nichttun nicht mehr mit dem vermeintlich stalinistischen Charakter der Roten Armee rechtfertigen. Das ist Kohls Dilemma, aus dem er nicht entlassen werden sollte. Für sein Verhalten gegenüber den Russen gilt, was er vor Bitburg für sich selbst reklamierte. Daß das Treffen an den Gräbern ein Bekenntnis ist: „Von deutschem Boden muß Frieden ausgehen.“ Deshalb muß Kohl an der zentralen Gedenkfeier der Russen am Ehrenmal der Roten Armee in Berlin- Treptow teilnehmen. Dieter Rulff

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