: Kohl hat mit Adenauer gleichgezogen
■ betr.: „Bosnien wird zum Grab der UNO“ (Das Waffenembargo muß nun fallen), taz vom 21. 7. 95
Ob die „Illusion friedlicher Konfliktbewältigung“ für Bosnien eine war oder nicht, entscheidet zum Glück nicht Erich Rathfelder, sondern jeder Pazifist selbst, der sich dieser Idee hingibt. Mit seiner Haltung begibt sich Rathfelder in die Gesellschaft Heiner Geißlers, nach dessen Vorstellungen der Pazifismus Auschwitz erst möglich gemacht haben soll. Aber es macht natürlich einen Unterschied, ob Verhandlungen mit serbischen Machthabern scheitern oder ob ein pazifistisches Konzept auch gezielt die innerserbische Opposition und föderale Strukturen stärkt. Ganz so naiv sind Pazifisten nicht.
Es schien in der linksalternativen Szene einen Mainstream zu geben, dem Profitstreben deutscher Rüstungsunternehmen nachzugeben. Diese hat ein Interesse am Einsatz deutscher Tornados, weil die Kaufkraft der bosnischen Truppen begrenzt ist.
Die Regierung Kohl hatte zur Unterstützung dieser Interessen die Diskussion auf die Frage „Einsatz der Bundeswehr – ja oder nein“ zugespitzt. Sie hatte es geschafft, durch Instrumentalisierung zunächst der Not der somalischen Bevölkerung das Bundesverfassungsgericht für Auslandseinsätze einzunehmen und hat dann das Mitgefühl für die bosnische Bevölkerung ausgespielt. Helmut Kohl hat mit Konrad Adenauer gleichgezogen. Konrad Adenauer wußte mit dem Koreakrieg Bedrohungsängste vor der Sowjetunion zu schüren, um eine entmilitarisierte Bundesrepublik wieder zu bewaffnen – Helmut Kohl benutzte Jugoslawien, um die Bundeswehr zu Auslandseinsätzen zu ermächtigen. Die Leiden einer kriegsgebeutelten Bevölkerung wäre jedenfalls das erste Mal Ausgangspunkt des Handelns dieser Bundesregerung.
Erich Rathfelder räumt ein, daß sich im UNO-Mandat die Interessen der Großmächte wiederfinden und keineswegs Schutzbedürfnisse der bosnischen Bevölkerung. Mit der „deutschen Öffentlichkeit“, die das mehrheitlich tatsächlich ausgeblendet hatte, kann er Pazifisten nicht meinen, da dieses Bewußtsein zu den Grundüberzeugungen einer pazifistischen Haltung gehört. Jedoch wird man sich so endlich einig.
Zu unterstützten ist dennoch die Forderung, das Waffenembargo gegen Bosnien aufzuheben. Die interessengeleitete Waffenvorherrschaft der UNO wird damit gebrochen und die Möglichkeit der Wahrnehmung eigener Interessen den Bosniern zumindest wieder eröffnet. Sollen die Bosnier doch selbst entscheiden, ob sie sich militärisch verteidigen oder soziale Bindungen zu ihren ehemaligen jugoslawischen Mitbürgern wiederbeleben.
Pazifisten würden letzteres unterstützen. Es gilt nämlich nicht zu vergessen, daß unter Waffen nicht die Kriegstreiber in Serbien sterben werden, sondern vielfach junge Serben, die von der Straße weg in Uniformen gesteckt, ihren sozialen Beziehungen entrissen und so der militärischen Verrohungsmaschinerie ausgesetzt werden. Menschen, die statt dessen für eine pazifistische Opposition in Serbien hätten streiten können. Dieser die Unterstützung vorenthalten zu haben ist das Versäumnis deutscher Außenpolitik.
Das „Know-how“ für eine derartige Politik liegt in Deutschland brach. Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Wehrkraftzersetzer aus dem Zweiten Weltkrieg wurden niemals rehabilitiert. Die Ächtung dieser Widerstandsformen wurde aus dem faschistischen Deutschland übernommen. Dahinter steckt vermutlich die heimliche Hoffnung, ohne sie hätte Adolf Hitler den Endsieg davongetragen und Deutschland wären die Folgen der Kriegsniederlage erspart geblieben.
Wie soll ein Land wie Deutschland den Widerstand in Serbien auch wahrnehmen und fördern, wenn es ihn im eigenen Land verleugnet? Dirk Burchard, Bremen
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