■ Kohl hat die Außen- zur Wirtschaftspolitik verkommen lassen: Neue Welt-Unordnung, alte Rezepte
Daß es langweilig auf der Welt zuginge, nur weil der Wahlkampf langweilig ist, kann man nicht behaupten. Im Gegenteil, es passiert sehr viel. Da gibt es die politischen und militärischen Auseinandersetzungen um nachholende Staatsbildung in einer globalen Staatenwelt. In der UNO hat sie ihre Repräsentation, und bis 1989 war sie durch die Blockbildung imperial geordnet. Jetzt ist der Deckel weg.
Die Besetzung Kuwaits durch den Irak war der erste Anschlag auf die UNO-Staatenwelt. Die Kriege um Jugoslawien legten ihre Widersprüche offen. Was zählt mehr: die existierende Staatlichkeit oder das Recht auf Lostrennung von Republiken, die sich als eigene Staaten konstituieren? Die Kette dieser Auseinandersetzungen reicht vom Tschetschenienkrieg über die Grenzstreitigkeiten zwischen Äthiopien und Eritrea bis zu den Kriegen im Kongo. Sie schließt aber auch den auf der Kippe stehenden Nahost-Friedensprozeß ein, aus dem, wenn er gelingt, ein palästinensischer Staat hervorgehen wird. An all diesen Punkten gerät die Staatenwelt, die aus den Weltkriegen und der Entkolonialisierung hervorging und im Kalten Krieg fixiert wurde, ins Schwimmen.
Die andere Ereigniskette folgt der krisenhaften Entwicklung der globalisierten Weltwirtschaft, die die Staatenwelt mit einem eigenen Netz überzogen hat. Die „Asienkrise“ steht am Anfang, am Ende droht eine Weltwirtschaftskrise. Die Bedeutung dieser Kette von Ereignissen wird an der Börse gemessen. Deshalb wirken sie abstrakt, obwohl sie Millionen Menschen ins Elend stürzen.
Trotzdem spielt die Außenpolitik im Wahlkampf kaum eine Rolle. In der Außenpolitik sei kein Blumentopf zu gewinnen und ohnehin herrsche Konsens, war zu hören. Warum also über Nebensächlichkeiten wie den Kosovo oder die verheerenden Wirkungen der Krise in Asien im Wahlkampf überhaupt reden? Allenfalls weissagte Rexrodt, die Lage in Asien habe auf den Aufschwung in Deutschland keinen Einfluß, und verkündete Waigel, sein Haushalt werde durch nichts berührt. Von der Opposition hörte man im Kanon: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Tatsächlich besteht der vielbeschworene Konsens in der Außenpolitik in einer „Kultur des Schweigens“, bei der zu fragen ist, ob sie auf Ignoranz oder Ratlosigkeit basiert.
Wenn Kohl angesichts der Krise in Rußland nun den Kanzlerbonus auszuspielen versucht, der darin besteht, vortäuschen zu können, schon etwas zu tun, wo man sich öffentlich erst mal die Frage zu stellen hätte, was zu tun ist, zeigt dies ein Versäumnis der Opposition. Zwar hat Kohl außenpolitisch keine gravierenden Fehlentscheidungen getroffen, im wesentlichen aber hat er die Außenpolitik wie vieles andere auch schleifen lassen. Das hängt direkt mit der von Kohl getragenen Standortdebatte zusammen. Sie hat Außenpolitik auf Wirtschaftspolitik heruntergebracht. Indem die Regierung zugunsten der Weltwirtschaft immer mehr von der Staatenwelt absah, hat sie einen rein ökonomischen Blick auf die Welt gefördert. Unterderhand hat sie dabei aber auf eine intakte Staatenwelt gesetzt. Für die Fassade hat sie Milliarden springen lassen, vor allem für Rußland.
Die Krise in Rußland stellt das Wahlkampfszenario aller Parteien in Frage: Rußland ist kein weltwirtschaftliches, sondern ein weltpolitisches Problem. Im Unterschied zu der Krise in Asien dürfte sie einen politischen Keil in das wirtschaftliche Fettpolster der Bundesrepublik schlagen. Mag sein, daß Kohl daraus Kapital schlagen kann. Für eine weitere Niederlage hätte die Opposition dann aber nicht den weltpolitischen Zufall, sondern sich selbst verantwortlich zu machen. Sie teilt das Kohlsche Weltbild, daß sich alles richten wird.
Das ist falsch. Das Aufeinandertreffen von vorgeblich geordneter Staatenwelt und vorgeblich sich selbst organisierender Weltwirtschaft erzeugt wachsendes Durcheinander. Eine ernst zu nehmende Opposition hätte das schon vor Beginn des Wahlkampfes sagen müssen. Mit ihrem absoluten Primat der Innenpolitik hat sie sich dumm gestellt und Kohl ein Loch gelassen. Joscha Schmierer
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