PRESS-SCHLAG: Kohl gegen Olympia
■ Nach Finanzminister Waigel begibt sich auch der Kanzler in die Reihen der Berliner Olympia-Opposition
Stolz wie ein Pärchen Oskars wollten sich Eberhard Diepgen und Willi Daume eigentlich am Montag in Lausanne vorstellen und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) die Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele im Jahre 2000 überreichen. In einem halbstündigen Gespräch gedachten der Regierende Bürgermeister und der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) dann dem IOC-Boß Juan Antonio Samaranch zu erläutern, was sie sich alles Schönes ausgedacht haben, wie glänzend die Vorbereitungen laufen und welch großartige olympische Örtlichkeit Berlin doch insgesamt abgeben würde. Alles war bestens präpariert: die letzten Altlasten der unseligen Ära Grüttke — wie Michael Groß, der Bettelstudent mit dem fürstlichen Salär — beseitigt; mit der ehemaligen Vizepräsidentin der IOC-Vermarktungsgesellschaft ISL, Brigitte Schmitz, eine hochkarätige Marketing-Spezialistin und mit dem Diplomaten Friedrich Ruth eine hoffähige Gallionsfigur verpflichtet. Da schlug der Waigel zu.
Mit perfektem Timing wählte der Bayern-Brutus aus dem Bundesfinanzministerium den optimalen Moment, um sich als neue Speerspitze der Olympia-Opposition zu offenbaren und den Berliner Olympia-Träumern den Dolch mitten in die Brust zu setzen. Zu bezahlen sei die ganze Chose sowieso nicht, verriet der sparsame Theo der staunenden Öffentlichkeit, die so etwas schon immer geahnt hatte, man solle sich doch überlegen, ob es nicht genügen würde, die Spiele im Jahre 2004 abzuhalten.
Im nu erhob sich gar mächtiges Gezeter in den Berliner Amtsstuben. Eberhard Diepgen salbaderte vom Dank, den die Berliner der Welt für ihre Solidarität abstatten wollten und der keinen Aufschub dulde, vergaß aber zu erklären, wieso die Welt denn noch acht Jahre auf ihren Dank warten könne, auf keinen Fall aber zwölf. Walter Momper erkannte gewohnt scharfsinnig, daß es ein „denkbar schlechtes Licht“ auf die Bewerbung werfe, wenn der Bundesfinanzminister den Eindruck erwecke, Deutschland könne sich die Olympischen Spiele nicht leisten, und flehte den Bundeskanzler an, seinen geizigen Minister „zurückzupfeifen“. Axel Nawrocki, leidgeprüfter Geschäftsführer der Olympia GmbH, argwöhnte gar niedere Beweggründe beim Waigel: den Preußen-Haß des Bajuwaren nämlich.
Gelassen reagierte einzig Willi Daume, dessen Wortmeldungen in Berliner Olympiakreisen stets mit größter Besorgnis entgegengesehen wird. Ministeraussagen, so hat der weise Funktionärs-Veteran längst erkannt, dürfe man nicht „auf die Goldwaage legen“, außerdem seien die Spiele immer noch billiger als „Panzerkreuzer und Jäger90“.
Im übrigen könne man heute für das Jahr 2000 noch gar keine Kosten aufstellen. Eine Äußerung, die bei den Olympiabefürwortern kaum Begeisterung hervorrufen wird, denn diese stellen fortwährend und enthusiastisch Kosten für das Jahr 2000 nach heutigen Kriterien auf, während sie die zu erwartenden Einnahmen munter zu abenteuerlichen Summen hochrechnen. Nicht umsonst weist Arnold Krause, haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Berliner Abgeordnetenhaus, darauf hin, daß beispielsweise die Spiele von München 1972 dreimal teurer als geplant wurden und die Kosten für Berlins Bewerbung bereits von veranschlagten 15,6 Millionen Mark auf 129 Millionen gestiegen seien.
Das Entsetzen von Diepgen und Konsorten darüber, daß es trotz aller Lobpreisungen und Gesundbetereien nicht einmal gelungen war, die Bonner Politiker von den Segnungen Olympias zu überzeugen, hatte sich noch nicht gelegt, da folgte bereits der nächste Schlag. Weit entfernt davon, seinen Finanzminister zurückzupfeifen, reihte sich der Kanzler selbst in die Reihen der Olympiagegner ein. Die Bundesregierung werde jetzt keine „freundlichen Briefe an das NOK schicken und die Bewerbung Berlins für Olympia 2000 fordern“, erklärte Regierungssprecher Dieter Vogel. Darauf angesprochen, daß der Kanzler die Bewerbung noch vor wenigen Monaten unterstützt habe, meinte Vogel: „Das ist eine Weile her.“ Und das Gedächtnis des Herrn Kohl ist ja bekanntlich nicht das beste.
Berlins Olympia-Opposition kann sich also darauf freuen, bei der nächsten NOlympics-Demo Theo Waigel und Helmut Kohl in der vordersten Reihe begrüßen zu dürfen. Wir sind sicher, daß sie auch mit Lederjacke und Haßkappe leicht zu erkennen sind und mit stehenden Ovationen für ihren tapferen Einsatz rechnen können. Matti
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen