: Kohl, Major und der Golf
Bei erstem Besuch des britischen Premiers in Bonn stand die Pflege des deutsch-britischen Verhältnisses im Vordergrund/ Kritik an Genscher ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
„Totale Meinungsübereinstimmung gibt es nur auf dem Friedhof“, äußerte der britische Premierminister Major nach dem über zweistündigen Gespräch mit dem Bundeskanzler. Bezogen wissen wollte er dies allerdings nur auf die Differenzen über den weiteren Ausbau der EG zur politischen Union. Beim Golfkrieg gebe es dagegen absolut gleiche Ansichten, verkündete Major vor der Presse. Zuvor hatte der Kanzler demonstrativ die enge Partnerschaft zu London herausgestrichen, von einem „weiteren intensiven Gespräch in einer ganzen Serie“ gesprochen und darauf verwiesen, man habe „jede Woche ein-, zwei-, dreimal telefonisch in Kontakt“ gestanden.
Des besonderen Gepäcks, welches Major zu seinem ersten Besuch in Bonn mitbrachte, war sich die Bundesregierung durchaus bewußt. Schließlich übt sich die britische Presse seit Beginn des Golfkriegs in ausgiebiger Kritik an deutscher „Drückebergerei“, weil die „Krauts“ nicht mitkämpften, sondern auf „Tauchstation“ gingen. Mit fast britischem Understatement hieß es deshalb aus dem Kanzleramt, bei den Gesprächen werde auch die als nicht „korrekt“ empfundene Kritik in der britischen Öffentlichkeit zur Sprache kommen. Die immaterielle Pflege des deutsch-britischen Verhältnisses stand um so mehr im Vordergrund, als der britische Außenminister Hurd bereits Ende Januar bei einem Bonnbesuch 800 Millionen Mark Golfkriegshilfe abkassierte. Eine erneute Zahlung in die britische Kriegskasse stünde erst bei einem länger andauernden Krieg wieder an, machte auch Kohl deutlich.
Die Erwartungen zu entkräften, die Deutschen mögen eine größere — auch militärische — Rolle im Golfkrieg spielen, habe sich deshalb der Bundeskanzler bemüht. In Regierungskreisen hieß es, daß in der britischen Presseschelte eine „gewisse Widersprüchlichkeit offenkundig“ sei: Vor einem Jahr habe die Briten die Angst vor dem vereinigten Deutschland als aggressiver Großmacht umgetrieben. Nun werde das Bild des verweichlichten und verantwortungslosen Wohlstandsdeutschen gezeichnet, der es anderen überläßt, die Freiheit zu verteidigen. Übersehen werde — nicht in der Regierung, wie schnell hinzugefügt wird —, was die Bundesregierung seit Beginn der Golfkrise an materieller und finanzieller Hilfe geleistet habe. In Großbritannien werde auch nicht wahrgenommen, wie den Deutschen durch die Verfassung „die Hände gebunden sind“, mehr zu tun. Daran seien die Engländer „selber schuld“: Schließlich hätten die Alliierten 1949 mit Bedacht ein Grundgesetz genehmigt, welches dem deutschen Handeln deutliche Grenzen setzt. Sie müßten deshalb auch akzeptieren, daß es seine Zeit brauche, dies zu ändern. Doch die Stimmung in England hat auch Auswirkungen bis ins deutsche Regierungslager hinein. Kritik aus den Reihen der Union gilt vor allem Außenminister Genscher, dem vorgehalten wird, er kümmere sich um die ganze Welt, aber lasse sich bei den entscheidenden Freunden in Washington, Paris und London nicht blicken. Verwiesen wird darauf, daß Genscher Ende Januar sogar eine angesetzte Reise nach London wieder absagte und damit den britischen Amtskollegen Hurd zwang, kurzfristig in Bonn zwecks finanzieller Hilfe vorstellig zu werden. CDU-Generalsekretär Rühe — gerade aus London zurück — lastet Genscher auch an, seine Diplomaten seien dem Befremden über Bonns Zurückhaltung und einer „Legendenbildung“ in England über deutsche Versäumnisse nicht entgegengetreten.
So erscheint es nicht nur als Zufall, das der erste Besuch Majors völlig ohne den Außenminister ablief. Es sei auch „eher die Ausnahme“, den Außenminister hinzuzuziehen, wenn sich die Regierungschefs träfen, hieß es dazu im Kanzleramt. Gegenbeispiele ließen sich finden. Verwiesen wurde auch auf Genschers Terminkalender. Darin standen Treffen mit dem bulgarischen Handelsminister, dem irischen und dem spanischen Außenminister.
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