: Kohl: Alles nur ein Mißverständnis
■ In Washington stellte Bundeskanzler Kohl fest, daß es weder wegen der Modernisierung der Kurzstreckenraketen noch wegen der Stationierung neuer Chemiewaffen Konflikte gibt / „Zur Zeit kein Entscheidungsbedarf“
Berlin (dpa/afp/taz) – Nach zweitägigen Gesprächen Bundeskanzler Kohls in Washington haben sich offenbar alle deutsch- amerikanischen Konflikte um Modernisierung von Kurzstreckenwaffen und Neustationierung chemischer Waffen in Wohlgefallen aufgelöst. Zwar wurden nach der offenbar entscheidenden Unterredung zwischen Kohl und US- Außenminister Shultz keine Erklärungen abgegeben, aus der deutschen Delegation hieß es aber, Kohl habe seine „Sorge“ über die geplante Modernisierung der US-Kurzstreckenatomraketen vorgetragen und Verständnis gefunden. Ein nichtgenannter hoher US-Beamter ergänzte diese Darstellung mit dem Hinweis, die fraglichen Lance-Raketen hätten eine Lebensdauer bis 1995. „Es bestehe daher zur Zeit kein Entscheidungsbedarf.“ Der hohe Beamte sagte, das Thema habe nicht auf der Tagesordnung von Kohl und Präsident Ronald Reagan am Freitag gestanden. „Es ist kein Streitpunkt zwischen uns.“ Die Allianz befasse sich seit der Erklärung der NATO- Verteidigungsminister 1983 in Montebello (Kanada) mit Studien über die Modernisierung der Streitkräfte. „Es ist keine Frage, ob wir modernisieren ... Es gibt niemanden in der Allianz, der seine Truppen mit weniger als der besten Ausrüstung ... hinausschicken will.“ Diese Haltung wurde auch auf der deutschen Seite betont.
Die Frage einer Modernisierung war von den Amerikanern auf der NATO-Tagung im Herbst des vergangenen Jahres in Monterrey mit Nachdruck verfolgt worden. Verteidigungsminister Frank Carlucci hatte das starke Interesse an einer raschen Entscheidung über eine Nachfolgerin für die Lance auf der Münchener Wehrkundetagung bekräftigt und damit die Diskussion wiederbelebt. Derselbe US-Beamte räumte ferner eine Bonner Besorgnis aus, die von Reagan 1986 gegebene Zusage, alle Chemiewaffen bis 1992 aus der BRD abzuziehen, könne rückgängig gemacht werden. Eine solche Ansicht sei falsch. Sie sei durch die mißverstandene Erklärung eines amerikanischen Repräsentanten entstanden. Die Zusage gelte auch für einen Verzicht auf die Stationierung neuer chemischer Waffen zu Friedenszeiten auf deutschem Boden. Mit dem Repräsentanten war offensichtlich der Chefdelegierte bei der UNO-Abrüstungskonferenz, Max Friedersdorf, gemeint. Er hatte gegenüber der taz und dem TV-Magazin Panorama die Meinung vertreten, die USA könnten die neuen binären Waffen ohne weiteres in der Bundesrepublik stationieren. Laut Friedersdorf gibt es keinen Vertrag, der zukünftige US-Präsidenten an die Absprache zwischen Kohl und Reagan bindet. Kohl warb vorgestern in Gesprächen mit Shultz und Kongreßpolitikern für seine Ansicht, daß ein Gesamtkonzept der NATO für die Abrüstung und Rüstungskontrolle ausgearbeitet werden müsse, bevor über Detailfragen wie Modernisierung entschieden werden könne. Der Kanzler sagte, zu dem „Gesamtpaket“ gehöre ganz besonders auch ein Mandat des Westens für Verhandlungen über eine ausgewogene Verringerung der konventionellen Streitkräfte. Er setzte sich dafür ein, ein weltweites Verbot chemischer Waffen trotz bestehender Probleme bei der Verifikation anzustreben. Eine Reaktion der Amerikaner auf dieses Ansinnen wurde nicht bekannt. Die SPD hat die Bundesregierung aufgefordert, eine Stationierung neuer chemischer Waffen in der Bundesrepublik auch im Krisenfall klar abzulehnen.
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