: Kohl - was sonst!
■ Winterwetter drückt die Wahlbeteiligung / Verklebte Wahllokaltüren in Tübingen und Fulda / Die 89,1
Berlin (taz) - Schlimmste Befürchtungen, Väterchen Frost könnte den Parteien am Wahltag einen Strich durch die Rechnung machen, bewahrheiteten sich am gestrigen Wahltag nicht. Bei naßkaltem, regnerischen Wetter begann die Wahl zum elften Deutschen Bundestag am Vormittag nur schleppend. In Nordrhein– Westfalen kamen die Wähler bei Glatteis gar ins Rutschen. Deshalb war in Städten des Ruhrgebiets die Wahlbeteiligung bis zehn Uhr mit rund fünf Prozent lediglich halb so hoch wie bei anderen Wahlen. Auf der Hallig Gröde dagegen war bereits viertel vor elf die Wahlbeteiligung bei 100 abgeben. Insgesamt wurde aber mit einer geringeren Wahlbeteiligung gerechnet, wenige Stunden vor Schließung der Wahllokale lag die Beteiligung bei 55. Rund 45 Millionen Bundesbürger waren aufgerufen, in einer „Winter“–Wahl einen neuen Bundestag zu wählen. Um die 496 Mandate im Bundestag bewarben sich 16 Parteien mit insgesamt 2.690 Kandidaten in 248 Wahlkreisen. Neben den im Bundestag vertretenen Parteien stellten sich in allen zehn Bundesländern die NPD, die Patrioten für Deutschland und die marxistische MLPD zur Wahl. Nur in einigen Bundesländern angetreten sind die Ökologisch–Demokratische Partei von Herbert Gruhl, die Frauen–Partei, die Mündigen Bürger, die Deutsche Zentrumspartei, die Rentnerpartei und die rechtsradikale FAP. Und nur in Bayern kandidierten neben der CSU die Christlich–Bayerische Volkspartei und die Bayern–Partei. Allesamt Gruppierungen, denen kaum eine Chance eingeräumt wird, die Fünf–Prozent–Hürde zu über springen. In Münster und Aachen schien die Wahl zunächst abgesagt. Tausende von Bürgern fanden nach Angaben der Polizei von Münster am Morgen Kuverts in ihren Briefkästen, die von der Stadtverwaltung zu kommen schienen. Darin wurden die Wähler auf „Geheiß des Bundespräsidenten“ aufgefordert, die Wahlunterlagen zu vernichten und „neue Wahlbenachrichtigungen abzuwarten“, die Wahl sei auf den 22. Februar verschoben. In Aachen hieß es in einem mit Bundesadler versehenen Schreiben, nach „sorgfältiger Abwägung der Wettervorhersagen“ sei die Wahl auf den „nächsten schneefreien Sonntag verschoben“. Ähnliche Schreiben fanden Bewohner von Kirchheim/ Teck neben der Sonntagszeitung in ihren Briefkästen. Überraschungen erlebten die ersten Wähler im schwäbischen Tübingen. Bei 17 von 53 Wahllokalen waren die Türschlösser mit Schnellkleber verkleistert worden. Aus gleichem Anlaß mußte auch in Fulda der Schlosser dem Wahlleiter die Pforten öffnen. In Hamburg demonstrierten rund 20 Ausländer vor zwei Wahllokalen friedlich für ein Ausländerwahlrecht. In Würzburg sammelten Mitglieder eines „Inititativkreises Volksentscheid gegen Atomanlagen“ Unterschriften und verteilten Flugblätter vor verschiedenen Wahllokalen. Anders dagegen in Berlin. Aufgrund des besonderen Status der Stadt werden die Berliner Abgeordneten von den Parteien vorgeschlagen und wurden gestern während einer Sondersitzung des Abgeordnetenhauses entsandt. Die ersten 22 Mandatsträger für den neuen Bundestag standen somit schon vor der Schließung der Wahllokale fest. Im letzten Bundestag hatte die CDU/CSU 242 Sitze ( 48,8 FDP 34 (7,0) und die erstmals im Bundestag vertretenen Grünen kamen auf 27 Sitze bei 5,6
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