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Körperverbesserungskunst

Was dem einen die Klinik, ist dem anderen sein Atelier – doch gegen die Kopfjäger unserer Privatsender wirken selbst die Arbeiten dieser Künstler geradezu romantisch: Die Gruppenausstellung „Xtrabutts“ in der Galerie Neurotitan

„Don’t dream it, be it.“ Mit 38 Schönheitsoperationen, die sie an sich ausführen ließ, so war es letztens im Zeit-Dossier nachzulesen, hält Cindy Jackson aus Fremont, Ohio den absoluten Weltrekord der plastischen Chirurgie. Jackson, Wahllondonerin und ehemalige Kunststudentin, verkörpert die schmerzhafte Menschwerdung eines Idols: Barbie von Mattel.

Die Klinik, von der Cindy als „Ort des Wunders und der Gerechtigkeit“ schwärmt, an dem sich jeder nach eigenen oder fremden Vorstellungen entwerfen kann, die korrigierenden Schnitte oder Implantationen in Bindegewebe, Haut und Knorpel, hat sich die Hamburger Künstlerin und bekennende Fetischistin Susanne Klein erspart. Ihr „Körperverbesserungsanzug IV“ aus orange leuchtendem Latex lässt sich in wenigen Minuten über die als unvollkommenen empfundene Statur ziehen, und verwandelt die Trägerin in ein Erwachsenenspielzeug anderer Wesensart. Er beherbergt unter seiner luftdichten Gummihaut grobe Prothesen; gigantische Styroporbrüste, überdimensionale Schamlippen, Waden, und einen ausladenden artifiziellen Arsch.

Kleins auf Video festgehaltene Metamorphosen zur bizarren Gummiherrin sind nun bei Xtrabutt zu sehen, einer Gruppenausstellung der Neurotitan-Galerie in den Hackeschen Höfen, die sich mit dem Untertitel „Adults Only“ ganz explizit den Auslösern und Mechanismen sexueller Phantasien widmet. Was dem einen die Klinik, ist dem anderen sein Atelier, und so präsentiert die Ausstellung „Xtrabutts“ einen Blick auf vermeintlich abseitige Begierden und Obsessionen, der zugleich ästhetisierend und kritisch sein will.

„System-Color“, eine Arbeit der Berlinerin Mc Lovla, stellt den Industrienormen einer Farbpalette die starren Konventionen sadomasochistischer Rituale gegenüber. Über einer Leinwand mit methodisch aufgetragenen Farbfeldern, findet sich auf einer Plexiglasplatte das Abbild eines mit Striemen überzogenen Frauenhinterns, Sinnbild für die vorgefertigten Rolleneinteilungen, die in der Szene üblich sind. Auch Chris Dreier verewigt mit der Gemäldeserie „Strenge Frauen“ Stereotypen, die sie Fotos aus einschlägigen Magazinen entnommen hat: Krankenschwestern, Matronen, Dominas, maskierte Cowgirls, denen sie die kühl stilisierten Porträts ihrer Freundinnen Klein und Mc Lovla gegenüberstellt.

Weibliche Strenge, körperliche Korrektur, Schmerz – die morbiden pädophilen Welten des einzigen männlichen Teilnehmers Stu Mead erinnern stilistisch an die Karikaturen des „Addams Family“-Schöpfers Chas Addams aus den Fünfzigerjahren, wobei Meads Phantasien um das Ausgeliefertsein kreisen. Zwischen Krankenhaus, Friedhof und Museum sind seine gebrechlichen und senilen Patienten ihren kindlichen Betreuerinnen überlassenen, die sie lustvoll dem Grab ein Stück näher bringen. Gute Mädchen kommen in den Himmel, doch Meads lasterhafte Lolitas ziehen eine heimlich gerauchte Zigarette oder nächtlichen Oralsex mit dem Teufel den Segnungen des Bildungsbürgertums vor. Das wirkt angesichts real existierender Freizeittrends beinahe wie ein romantisches Zitat. Und eben hier gleicht die gesamte Ausstellung den Patienten Meads, sie steht als Relikt subversiven Lebensgefühls bereits mit einem Bein in der Pathologie.

Vom Versicherungsangestellten bis zur PR-Frau – jeder ist ein Freak, alle sind wir geile Tiere. „Zwei Köpfe sind besser als einer“ lautet der Schlachtruf von Kopfjägern der Privatsender. Zwischen Daily Talks, Boulevard- Magazinen und Wa(h)re Liebe wird der postfeministische Diskurs in der demnächst auf RTL II anlaufenden Doku-Soap „Beauty Farm“ erst mal gründlich unters Skalpell genommen. Dagegen wirken Susanne Kleins ironische Verkleidungskünste geradezu hausbacken.

Xtrabutt zeigt wie schwierig und ermüdend es ist, in einer pornografischen Gesellschaft die sexuelle Integrität zu bewahren. Es mutet zwiespältig an, wenn Mc Lovla einen Leuchtkasten mit dem ätherischen Image einer rasierten Vagina präsentiert, und ihr Werk „Pussy I, Promise/Verheißung“ betitelt. Orte des Wunders und Orte der Gerechtigkeit: Fast scheint es, als bliebe angesichts der Übermacht kapitalistischer Erotik nur die Flucht zurück in den Mutterleib.

OLIVER KOERNER VON GUSTORF

Die Ausstellung läuft bis zum 9. 2.: Mi/Do 16 bis 22 Uhr Fr 16–0 Uhr, Sa 14 –0 Uhr, So 14–20 Uhr, Galerie Neurotitan, Rosenthaler Straße 37/38, Mitte

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