: König Georg ist kein König
Anders als sein Vorgänger Kurt Biedenkopf überzeugt Sachsens Ministerpräsident Milbradt weder Partei noch Bürger so recht. Jetzt versucht er, sich zur Wehr zu setzen
DRESDEN taz ■ „Bei Neuwahlen wäre die CDU weg vom Fenster“, sagt ein ehemaliger sächsischer Ministeriumssprecher, der sich wieder in Richtung Bayern zurückzieht. Nichts anderes meint Matthias Rößler, der unter „König Kurt“ Biedenkopf Wissenschaftsminister war und inzwischen das Enfant terrible der sächsischen Union ist: „Wenn wir so weitermachen, landen wir bei 30–35 Prozent.“ Sogar die jüngste Emnid-Umfrage im Auftrag der Staatsregierung zeigt, dass sich die CDU mit 42 Prozent nicht von der Wahlniederlage bei der letzten Landtagswahl erholt hat.
Damals, im September 2004, hatte auch das große Murren in der Partei eingesetzt. Vor allem richtet es sich gegen Biedenkopfs Nachfolger als Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzender, Georg Milbradt, sowie dessen Generalsekretär Hermann Winkler. Es ging größtenteils um formale Fehler in der Wahlkampfführung und um dessen Ausrichtung auf den Spitzenkandidaten. Anfang Februar hatten mehrere Kreisvorsitzende unter Führung Rößlers ein Thesenpapier entworfen. Darin wird eine schonungslose Analyse des Stimmenrückganges um 16 Prozent gefordert und indirekt eine Trennung des Ministerpräsidentenamtes vom CDU-Landesvorsitz vorgeschlagen. Das Ziel: eine Rückkehr zu „bayerischen Verhältnissen“ in Sachsen – also Mehrheiten deutlich über 50 Prozent.
Bei den ersten beiden Regionalkonferenzen, die der Basis Stimme geben sollten, war jedoch bereits wieder Geschlossenheit angesagt. Insbesondere beim Auftakt am letzten Februarwochenende in Wurzen versammelte sich die Sachsen-Union so ängstlich hinter dem großen Vorsitzenden, dass Rößler wenige Tage darauf bei der zweiten Konferenz in Bischofswerda auf „Bekundungen der Verbundenheit mit der Partei- und Staatsführung“ in der DDR anspielte. Der Vorsitzende selbst spielte den Ball an die Basis zurück. Da finde sich eine mitgliederschwache, erfolgsverwöhnte Partei, der es sowohl an Kontakten untereinander als auch mit dem Volk fehle: „Die Partei ist nicht nur der Vorsitzende, der für eine Mehrheit sorgt, während der Rest in der Loge sitzen und zugucken kann.“
Seine innerparteilichen Kritiker forderte Milbradt auf, sich einer Abstimmung auf dem Landesparteitag im Herbst zu stellen. Beim lebhafteren Disput in Bischofswerda wagte nicht nur Rößler offene Kritik. „Wir fassen uns alle an die eigene Nase, aber fasse du dich auch an deine“, rief der erregte Redner in Richtung des „lieben Georg“. Rößler betonte anschließend gegenüber der taz, dass er keinesfalls den Landesparteivorsitz anstrebe. Nach Meinung vieler Unionsfreunde hat es den als besonders ehrgeizig und aufsässig geltenden Rößler tief getroffen, dass er in der neuen Koalitionsregierung erstmals seit 10 Jahren ohne Ministeramt blieb. „Wenn ich wirklich so postengeil wäre, hätte ich die Schnauze gehalten“, kontert er den Verdacht. Etwa ein Fünftel der 500 Unionsfreunde blieb in Bischofswerda sitzen, als die anderen dem großen Vorsitzenden stehend applaudierten.
Doch die Kritik blieb bei Image- und Kampagnenfragen, beim Personal und der Parteiorganisation stecken. Inhaltlich wirkt die Partei verunsichert. Einzig ein kleiner Gemeindebürgermeister wies auf die Leere und Perspektivlosigkeit der Bürger etwa im ländlichen Raum hin, wenn Schule, Gemeindeamt, Post, Sparkasse oder Kneipe nacheinander dichtmachten. Die veränderte Wirklichkeit Ost scheint in der CDU Sachsen noch nicht angekommen.
Wenig Hilfe können hier auch die erzkonservativen Politikwissenschaftler Eckhard Jesse und Werner Patzelt leisten, die sich die sächsische Union zu Beratern erkoren hat. Jesse spinnt mit Rößler einen guten Draht und erinnert stets an den linken Hauptfeind PDS. Milbradt-Anhänger Patzelt bescheinigt der CDU ein Defizit an Patriotismus und Sozialem, wobei eine starke Wirtschaft angeblich Garant sozialer Gerechtigkeit sei. Beider Tenor aber läuft auf ein „Weiter so“ einer starken Union hinaus.
Eine spannende Frage bleibt, wie stark die stille Fraktion der enttäuschten Biedenkopf-Anhänger noch immer ist. Einen offenen Putsch gegen Milbradt erwartet niemand. Immerhin trifft sich der ehemalige Ministerpräsident im tschechischen Grenzort Boží Dar auf dem Erzgebirgskamm hin und wieder mit Getreuen, darunter auch amtierende Minister. MICHAEL BARTSCH