: Knöpfe aus Samen
100 Prozent made in Bangladesch: Bubi Russell, die erste und einzige bengalische Modeschöpferin, zeigte ihre Kollektion in der Unesco ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Mogina Khatum zieht kraftvoll an den Seilen über ihrem Kopf. „Klack“ macht es, und das Schiffchen schießt von links nach rechts. Die bloßen Füße liegen auf den hölzernen Pedalen, die das Gerät antreiben. Von frühmorgens bis in die Nacht sitzt die schlanke Frau auf der hölzernen Bank ihres Webstuhls. Das Resultat sind jeweils am Abend fünf Meter Stoff. Oder ein US-Dollar.
Anstatt in ihrem Haus in dem kleinen Dorf in Bangladesch arbeitet Mogina Khatum in dieser Woche im Foyer der Unesco in Paris. Ihr Webstuhl steht auf einem zwanzig Zentimeter hohen Podest, der rundum von Flutlichtern angestrahlt ist. Kameraleute schieben ihre Geräte ganz nah an das Gesicht der Weberin heran. Schaulustige fragen sie über ihr Leben aus. Mogina Khatum antwortet mit einem Lächeln. Die Sprachen, die bei der Unesco in Paris gesprochen werden, beherrscht sie nicht. Wenn ein Übersetzer in der Nähe ist, erzählt sie, daß sie zwei Kinder hat. Und daß sie nie gedacht hätte, daß sie eines Tages in einem Flugzeug sitzen würde.
Eine Modenschau ist der Grund für die unerwartete Reise nach Paris. Mogina Khatum, die in ihrem ganzen Leben nichts anderes getragen hat als Saris, webt Stoffe, die eine internationale Karriere machen sollen. Versehen mit dem Label: 100 Prozent made in Bangladesch, 100 Prozent Handarbeit und 100 Prozent Naturfaser. Während Mogina Khatum ihr Handwerk vorführt, schreiten ein paar Meter weiter Models aus Dhaka in einem Saal der Unesco über den Laufsteg. Die Musik dazu ist traditionell, die Stoffe mit ihren Karomustern auch. Die Hüte sind aus Stroh, die Knöpfe aus Samen, die Ketten aus Blumen. Die Kleider liegen auf halber Strecke zwischen Bangladesch und dem Westen: Weite, bodenlange Röcke für die Dame, flatternde Pluderhosen für den Herrn, Minikleidchen, bauchnabelfreie Hosenanzüge und Saris aus hauchzarten, durchsichtigen Stoffen mit Goldreflexen.
Die erste und einzige Modemacherin Bangladeschs hat die leichten, sommerlichen Modelle kreiert. Bibi Russell, die früher selbst als Mannequin in London arbeitete, ist auf die andere Seite des Modegeschäfts gewechselt, weil sie immer wieder auf die Armut ihres Landes angesprochen wird. „Ich wollte etwas positives für das Image Bangladeschs tun“, sagt sie.
Wichtigster Unterstützer von Bibi Russells Imagepflege wurde die „Grameen-Bank“ in Bangladesch. Sie stellte Anfang der neunziger Jahre die Verbindungen zu den einheimischen WeberInnen her und später auch die zur Unesco, die Bibi Russells erste Kollektion am Mittwoch abend in Paris sponsorte.
Die Grameen-Bank, zu deutsch: Rurale Bank, hatte vor zwanzig Jahren mit der Kreditvergabe an die Ärmsten des Landes begonnen und ist mit jenem einst belächelten Konzept längst weltweit nachgeahmt worden. Heute zählt die Bank zwei Millionen SchuldnerInnen – darunter 94 Prozent Frauen – die im Vergleich zu den zuvor bekannten millionenschweren Schuldnern trotz landesüblicher Zinsverpflichtungen eine vorzügliche Rückzahlungsmoral haben.
Die Unesco interessiert sich für die Bank, weil die neben der Vergabe von Minikrediten – sie liegen zwischen fünfzig und ein paar hundert Mark – auch für die Volkserziehung sorgt: Sie hält ihre SchuldnerInnen mit einem 16-Punkte- Katalog zu Hygiene, Ausbildung und Familienplanung an.
Am Mittwoch in Paris brachte die Zusammenarbeit zwischen Unesco, Armenbank und Modemacherin erste Erfolge. Die spanische Königin, die brasilianische First Lady, französische Modemacher und zahlreiche UN-Diplomaten waren zu dem Kolloquium gekommen, das der Modenschau vorausging. Die Modemacher beteuerten ihre guten Absichten, mit den Produzenten in der Dritten Welt zusammenzuarbeiten.
Die Diplomaten erkannten neue Auswege aus der Misere in ihren eigenen Ländern. „Ein Vorbild für unsere Frauen“, erklärte die Delegierte aus Mali. Die palästinensische Delegierte erinnerte sich an durch die Vertreibung in Vergessenheit geratenen Stickereien ihrer Heimat und sah Möglichkeiten, diese ebenfalls auf den internationalen Modemarkt zu bringen.
Nachdem Kolloquium und Modenschau vorbei waren, ging die Diplomatin zu Mogina Khatum, um deren Engagement gegen die Armut in der Welt zu loben. „Palästina“, wiederholt der Übersetzer der Delegierten, „Palästina, wo Jesus geboren ist.“ Die webende Bangladeschi lächelt freundlich und zieht an den Seilen über ihrem Kopf. „Palästina?“ – Nein, das kennt sie nicht.
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