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„Knackpunkt ist die Aufklärung“

■ Silikon kann krank machen. Viele Frauen fühlen sich vor einem Eingriff schlecht beraten. Ilse Dautert, Anwältin für Medizinrecht, vertritt Frauen mit Silikonschädigungen

taz: Gibt es einschlägige Silikon-Prozesse?

Ilse Dautert: Da muß ich etwas ausholen. Zur Zeit wird in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen hier in Deutschland der Kausalzusammenhang zwischen Silikon und den gesundheitlichen Schäden der Frauen nicht hergestellt. Es gibt eine Vielzahl von Einzelstudien, es gibt ein paar Fälle, in denen im Nachhinein durch das Entfernen der Silikonome nachgewiesen werden konnte, daß durch das Silikon Gift freigesetzt wurde. Aber wenn Sie heute ein Schadensersatzverfahren ausschließlich auf Silikonschädigung stützen, haben Sie kaum Chancen, damit durchzukommen. Da hinken wir den USA zwanzig Jahre hinterher.

Es bleibt also nur die Möglichkeit, Schadensersatz für eine unterlassene oder lückenhafte Aufklärung vor der Operation einzuklagen?

Ich sage: Frauen müssen darüber aufgeklärt werden, daß heute eine Silikonschädigung nicht hundertprozentig auszuschließen ist. Ich habe Schreiben von namhaften Gynäkologen vorliegen mit etwa folgendem Wortlaut: Wir haben wieder einmal eine Patientin mit Beschwerden. Das haben wir häufig bei Frauen mit Implantaten, die mit Silikongel gefüllt sind.

Welche Formulierungen benutzen denn ÄrztInnen in der Regel, wenn sie „aufklären“?

Sie sagen, die OP sei völlig ungefährlich und eine Silikonschädigung völlig abwegig. Ich kenne viele Frauen, die bekunden: Wenn ich gewußt hätte, daß das im Moment jedenfalls ungeklärt ist, und die Hintergründe erfahren hätte – ich hätte es nicht machen lassen.

Wie ist eine mangelhafte Aufklärung nachweisbar? Da steht doch Aussage gegen Aussage?

Der Arzt muß den Patienten über alles, was in Zusammenhang mit dem Eingriff steht, informieren. Je unwichtiger der Eingriff ist, desto höher sind die Anforderungen der Rechtssprechung. Bei plastisch-chirurgischen Eingriffen – wenn also die Frau sich die Brust vergrößern oder verkleinern läßt, und es handelt sich um eine rein kosmetische Operation – muß der Arzt gnadenlos über alle möglichen Komplikationen aufklären. Tatsächlich passiert genau das Gegenteil. Schöne Fotos werden gezeigt, und das war es dann.

Die Frage nach dem Nachweis ist allerdings jetzt noch offen.

Die Aufklärung muß der Arzt selbst nachweisen.

Schriftlich?

Anfangs haben die Ärzte Aufklärungsformulare auf den Tisch geworfen, die sollten die Patientinnen dann unterschreiben: Keine Fragen mehr, vollständig aufgeklärt. Das reicht heute nicht mehr. Der Arzt muß möglichst noch durch eine separate Dokumentation – zum Beispiel einen handschriftlichen Aktenvermerk mit Gegenzeichnung – beweisen, daß er tatsächlich aufgeklärt hat.

Es empfiehlt sich also, auf jeden Fall jemanden dabei zu haben?

Auf Patientenseite sowieso immer. Ärzte zitieren ihrerseits jedoch ganz häufig Zeugen, die die Patienten niemals gesehen haben. Das ist so Usus. Da wird Frau Assistenzärztin Dr. X zitiert etc.

Was auch nicht geht – was allerdings große Kliniken solange machen werden, bis sie irgendwann einmal Regreßverfahren bekommen – sind Massenaufklärungen per Diavortrag.

Haben Sie solche Aufklärungs-Prozesse schon gewonnen? Viele Frauen lassen sich doch bestimmt auf einen Vergleich ein.

Richtig, ein Großteil der Frauen läßt sich zu einem Vergleich bewegen. Das kommt allen wie gerufen, es hat ja niemand ein Interesse daran, Präzedenzfälle zu schaffen. Ich wünsche mir, daß hier einmal Grundsatzentscheidungen durchgeboxt werden, daß einfach mehr Frauen sich wehren.

Die Frage ist ja, wie man auf Präzedenzfälle zuarbeiten kann.

Nehmen wir zum Beispiel die unzähligen Fälle, in denen unter Zuhilfenahme der Krebsangst die Brust amputiert wird. Das sind Fälle, in denen eine fehlende medizinische Indikation vorliegt. In einem solchen Verfahren kann man dann die Sachverständigen zwingen zu prüfen, inwieweit die Folgeschädigungen – die die Frauen ja alle haben – auf die Silikongelimplantate zurückzuführen sind. Wenn die OP nicht gemacht worden wäre, gäbe es ja auch die Schäden nicht.

Chirurgen halten den Anwälten gern vor, möglichst viele Prozesse zu führen, sei vor allem lukrativ.

Völlig falsch. Das Kostengünstigste und Lukrativste für einen Anwalt sind Vergleiche im außergerichtlichen Verfahren. Ich habe gerade ein Geburtsschaden-Verfahren hinter mir, das acht Jahre gedauert hat. Da müssen Sie als Anwältin sehr viel tun.

Kennen Sie KollegInnen, die Ihrer Meinung sind?

Kaum. Die meisten sagen: eine Silikonschädigung kann nicht nachgewiesen werden – also setzen sie sich mit dem Thema nicht auseinander. Interview: Silvia Plahl

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