: Klinische Pillen-Prüfungen unter Camouflage
■ Ulrich Moebius vom pharmakritischen „Arzneimittel-Telegramm“ fordert Transparenz bei Medikamententests
taz: Erst jetzt stellen die Krankenkassen fest, daß sie über Jahre hinweg betrogen wurden. Hat da jemand geschlafen?
Ulrich Moebius: Das Versagen begann, als die schwäbische Firma Rentschler mit den Krankenkassen den Preis für eine Behandlung aushandelte. Bereits bei den Preisverhandlungen für Interferon haben die Funktionäre der Versicherten die horrenden Behandlungskosten unwidersprochen hingenommen. Behandlungskosten in fünfstelliger Höhe – pro Fall!
Die Frage ist, ob die Firmen Verbindungsleute zu den Krankenkassen unterhalten und ob dann die Krankenkassen überhöhte Preise genehmigen.
Das zweite Versagen besteht darin, daß den Krankenkassen Jahre zu spät bekannt wird, unter welcher Camouflage klinische Tests mit sündhaft teuren Medikamenten vorgenommen werden, die medizinisch nicht sinnvoll sind. Denn das Interferon der Firma Rentschler (das unter dem Markennnamen „Fiblaferon Beta“ vertrieben wird; Anm. d. Red.) hat nur zwei ausgewiesene Anwendungsgebiete mit geringem Markterfolg. Es ist ein Medikament mit vagabundierender Indikation, das bedeutet, man hat einen bestimmten Stoff, man weiß aber nicht, wozu der gut ist.
Wie kann es passieren, daß ein Mittel, das nicht für eine bestimmte Krebsart zugelassen ist, ohne Wissen der Krankenkassen an Patienten angewendet wird?
Weil die Krankenkassen keinen Zugang haben oder haben wollen zu den klinischen Prüfungen, die bei den Länderbehörden angemeldet sind. Es ist einfach, sich Durchblick zu verschaffen. Wenn in einem Bereich ein extrem teures Medikament extrem häufig verwendet wird, habe ich den Verdacht, es dreht sich um eine Testverwendung und nicht um eine durch die Zulassung abgesegnete Verwendung des Medikaments.
In diesem Fall kann ich bei den Länderbehörden gucken, wer was prüft. Prüfen kann ich auch bei den kassenärztlichen Vereinigungen.
Da die Krankenkassen mit kassenärztlichen Vereinigungen abrechnen, könnten sie ihre Partner bitten, Einblick in die laufenden Prüfungen zu gewähren. Daß die Krankenkassen sich hierum überhaupt nicht bemüht haben und die Versicherten möglicherweise um Hunderte von Millionen Mark geprellt worden sind, das wäre ein ungeheurer Vorwurf.
Welche Behörde hat denn noch geschlafen?
Das Bundesgesundheitsamt (BGA) eventuell, solange es sich um einen unbekannten Stoff handelt.
Hätte das BGA in diesem Fall einschreiten müssen?
In diesem Fall nicht, weil hier ja nur eine sinnlose Medizin betrieben wurde. Die kassenärztliche Vereinigung jedoch hätte genauer hingucken müssen, was ihre Mediziner da abrechnen.
Es sollen auch bei anderen Medikamenten Testreihen unzulässigerweise abgerechnet worden sein.
In Universitätskliniken im Ausland ist das gang und gäbe. Das wird zum Beispiel bei Immunglobulinen oder Antibiotika so gemacht, in der Intensivmedizin, da weiß man auch nicht, ob sie wirken oder nicht. Da belasten diese Versuche nur den Kliniketat.
Lassen sich Mißbräuche dieser Art verhindern?
Die Krankenkassen müßten automatisch über laufende Prüfvorhaben von den Firmen informiert werden. Denn die Krankenkassen sind ja Partner der pharmazeutischen Industrie, weil sie die Rezepte der Versicherten bezahlen. Deshalb haben sie einen Anspruch darauf, zu erfahren, was die pharmazeutische Industrie mit welcher Zielsetzung prüft.
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