Klimakiller Methan aus Gasinfrastruktur: Hilfe, ein, zwei, viele Lecks!

Die Gaswirtschaft gibt sich klimafreundlich. Eine Umfrage zeigt aber: In ihrer Lieferkette gibt es völlig unnötige Emissionen von Treibhausgasen.

Hafenanlage mit Kränen

Wieviel Methan entwichen ist, bevor sein Gas hier in Wilhelmshaven ankommt, weiß kaum ein Konzern Foto: dpa

BERLIN taz | | Deutschlands zurzeit umstrittenste Baustelle liegt in Wilhelmshaven. Hier entsteht seit Donnerstag das erste Flüssiggas-Terminal des Landes. Ar­ten­schüt­ze­r:in­nen sorgen sich um die Schweinswale im Wattenmeer, und auch die Klima­bewegung ist in heller Aufregung. Schließlich wird hier sehr viel Geld in Infrastruktur für einen klimaschädlichen Energieträger gesteckt, den es in wenigen Jahrzehnten überhaupt nicht mehr geben soll. Mittendrin: Bundeswirtschafts- und klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne), traditionell zwar Freund der kleinen Zahnwale und planetarer Grenzen – aber gerade eben auf anderer Mission. Er will, muss, soll Deutschland unabhängig von Russland machen. Schon Ende 2022 sollen in Wilhelmshaven Schiffe andocken können, die Flüssiggas aus anderen Ländern liefern.

Die Umweltverbände Deutsche Umwelthilfe und Urgewald wollten indes genauer wissen, wie es um das Klimabewusstsein der Gasbranche bestellt ist. Sie schickten eine Umfrage an 51 internationale Unternehmen der Gaswirtschaft. Speziell interessierten sich die Um­welt­schüt­ze­r:in­nen für den Ausstoß des hochwirksamen Treibhausgases Methan, denn der findet bei der Erdgasnutzung etwas versteckt statt. Die Kernfragen: Wissen die Konzerne überhaupt, wie viel Methan ihr Produkt verursacht, und was tun sie, um die Menge zu mindern?

Das Ergebnis soll am Montag veröffentlicht werden, die taz hat es vorab. Es ist ernüchternd: Die Branche hat die Lage kaum im Blick. „Unsere Umfrage zeigt: Die Unternehmen rechnen sich die Klimabilanz von Erdgas weiter schön“, sagt Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe.

Dabei inszeniert sich die Gasindustrie schon lange als Säule des Klimaschutzes. Sie verbreitet gerne die Erzählung, eine Brücke von der dreckigen Kohle in die erneuerbare Welt darzustellen. Schließlich entsteht bei der Verbrennung von Erdgas viel weniger Kohlendioxid als bei der von Kohle. Allerdings lässt diese Erzählung eines in den Hintergrund treten: Erdgas selbst ist praktisch ein Treibhausgas, besteht nämlich hauptsächlich aus Methan. Das bleibt zwar viel kürzer in der Atmosphäre als Kohlendioxid, aber es wirkt in dieser Zeit viel stärker, gilt deshalb als insgesamt zweitwichtigstes Treibhausgas. Wenn bei der Förderung von Erdgas ein Teil nicht eingefangen wird oder es Lecks in Pipelines gibt, dann ist das nicht nur schade um den Energieträger – sondern es heizt die Erde weiter auf.

Unbeliebtes Thema

Das Problem: Diese Austritte festzustellen, ist aufwändig. Gerade Lecks müssen überhaupt erst mal bemerkt werden – und das auf teils mehreren tausend Kilometern Pipelinestrecke. Wer es mit der Senkung der Methan­emissionen ernst meint, muss also Geld und Arbeit investieren.

Die Branche spricht nicht gern über das Thema. Geantwortet haben nur zwölf der angefragten Konzerne, darunter die deutschen Unternehmen EnBW, Uniper, Wintershall Dea, RWE, die Stadtwerke Bremen und München. Hinzu kommen Branchen-Schwergewichte wie die französische Engie, Fortum aus Finnland, Enel aus Italien, Vattenfall aus Schweden, Ørsted aus Dänemark und British Petroleum. Die Firmen besetzen unterschiedliche Positionen in der Lieferkette, teils fördern sie selbst Rohöl und verkaufen es, teils sind sie Energieversorger.

Alle teilnehmenden Unternehmen haben irgendeine Art von Klimastrategie. Elf von ihnen haben auch schon versprochen, langfristig klimaneutral zu werden – also ab einem bestimmten Zeitpunkt höchstens noch so viel klimaschädliche Emissionen zu verursachen, wie der Atmosphäre gleichzeitig wieder entzogen werden. Das zwölfte gibt an, immerhin gerade an einer solchen Strategie zu arbeiten.

Rechentrick sei Dank

Um indirekt anfallende Methanemissionen, also um das, was entlang der Lieferkette von importiertem Gas passiert, kümmern sich die Unternehmen dennoch nicht besonders ausgiebig, zeigt die Umfrage. Vier der zwölf Unternehmen beziehen diesen Ausstoß überhaupt nicht in ihre Klimabilanzen ein. Von den restlichen acht hat sich die Hälfte keine konkreten Ziele zur Bekämpfung des Problems gesetzt.

Sieben der zwölf Unternehmen schätzen die aus Lecks entstehenden Emissionen nur, verzichten also auf aufwändige Messungen, die genauer Aufschluss geben würden. Fünf Unternehmen messen zwar doch selbst nach, aber nur drei lassen die Ergebnisse von unabhängigen Stellen überprüfen. Nur ein Unternehmen greift auf die besonders effektiven Satellitenmessungen zurück.

Alle Unternehmen machen sich bei der Anrechnung des Methans auf die eigene Klimabilanz zudem einen kleinen Rechentrick zunutze. Sie mitteln die Treibhauswirkung des Gases über fiktive 100 Jahre – obwohl Methan nur zwölf Jahre in der Atmosphäre bleibt und seine volle Wirkung in dieser kurzen Zeit entfaltet. Das kann zwar in der Wissenschaft je nach Fragestellung eine hilfreiche Angabe sein. Es vernachlässigt aber eben das enorme kurzfristige Aufheizpotenzial von Methan.

Die Stu­di­en­au­to­r:in­nen blicken insgesamt pessimistisch auf die Branche. Sieben der zwölf Unternehmen gehören nämlich schon der Oil and Gas Methane Partnership an. Das ist eine freiwillige Industrieinitiative, die unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen steht und sich genau dieses Problems annehmen will. Die Annahme liegt also nahe, dass hier bereits die Vorbilder der Branche geantwortet haben – und es beim Rest noch viel finsterer aussieht.

„Die Methanemissionen aus der Vorkette sind der blinde Fleck in der Debatte“, meint Zerger. Wenn sie gemessen und berücksichtigt würden, sei fossiles Gas fürs Klima kaum besser als Kohle. „Die Gaswirtschaft muss endlich Verantwortung für die Emissionen aus ihrer Lieferkette übernehmen.“ Er appelliert auch an die Politik, speziell auf europäischer Ebene. Dort soll es nämlich künftig eine Verordnung zur Verringerung der Methanemissionen im Energiesektor geben.

Die EU-Kommission hat im Dezember einen Vorschlag dazu gemacht, mit dem sich jetzt die einzelnen Regierungen sowie das EU-Parlament befassen. Für Gas, das von außerhalb der EU importiert wird, soll die Verordnung bisher nicht gelten. Das hält Zerger für falsch. Er glaubt nicht, dass die Branche sich plötzlich von allein um den Klimaeffekt ihrer internationalen Lieferkette kümmert: „Freiwilligkeit alleine wird nicht reichen, deshalb brauchen wir eine strenge Regulierung der Emissionen durch die EU.“

Im vergangenen Jahr gab es weltweit einen massiven Anstieg der Methanemissionen, so groß wie in keinem Jahr zuvor. „Unsere Daten zeigen, dass die weltweiten Emissionen sich weiter rapide in die falsche Richtung bewegen“, sagt der Klimawissenschaftler Rick Spinrad von der US-Wetterbehörde NOAA, die im April globale Treibhausgasdaten für 2021 vorgelegt hat. „Die Beweislage ist konsistent, alarmierend und unbestreitbar.“

Methan entstammt nicht nur der Energiewirtschaft. Es gibt auch natürliche Quellen, zum Beispiel durch Mikroorganismen in Mooren und Sümpfen. Die wichtigsten wirtschaftlichen Quellen sind die Rinderzucht – denn das Gas entsteht bei der Verdauung von Wiederkäuern – und der Nassreisanbau, den die methanproduzierenden Mikroorganismen genauso lieben wie natürliche Feuchtgebiete.

Dass Methan in kurzer Zeit stark wirkt, ist Gefahr und Chance gleichermaßen. Positiv betrachtet: Auch Einsparungen wirken schnell.

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