Klimaaktivisten über Autobahnblockaden: „Kein Vorbild für Rechtsextreme“

Autobahnblockaden gefährden nicht Mehrheiten für mehr Klimaschutz, sagt Tobias März von der „Letzten Generation“. Damit widerspricht er den Grünen.

Junge Menschen sitzen mit Masken auf der Straße, bewacht von drei Polizisten

Ak­ti­vis­t*in­nen vom „Aufstand der letzten Generation“ blockieren eine Flughafenzufahrt Foto: Paul Zinken/dpa

taz: Herr März, Ihre Initiative „Letzte Generation“ blockiert seit einigen Wochen immer wieder Autobahnen und jetzt auch Zufahrtsstraßen von See- und Flughäfen. So wollen Sie die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz und einer Verpflichtung für Supermärkte zwingen, übrig gebliebene Lebensmittel zu spenden. Müssen wir damit rechnen, dass auch Querdenker oder Rechtsradikale bald Einrichtungen blockieren, die wenig mit ihrem Anliegen zu tun haben?

Tobias März: Das ist unwahrscheinlich, weil wir sehr gewaltfrei vorgehen und die Menschen, die sich daran beteiligen, viel auf sich nehmen. Die werden ja von Autofahrern geschlagen oder von der Straße gezerrt. Oder sie sitzen stundenlang in der Kälte oder im Regen auf dem Asphalt und kommen dann in Polizeigewahrsam für Stunden. Da braucht man schon eine sehr große Entschlossenheit. Das halte ich für unwahrscheinlich, dass das in großem Stil übernommen wird.

Querdenker und Rechtsradikale sind allerdings auch sehr überzeugt von ihren Zielen. In Kanada haben Impfgegner ebenfalls schon Straßen blockiert.

Aber wir grenzen uns ab von solchen Leuten: Wir respektieren Rechtsstaatlichkeit. Wir wehren uns nicht gegen die Polizei, sondern lassen uns wegtragen und einsperren. Wir fordern auch nicht irgendwas, das vom Himmel gefallen ist. Wir berufen uns auf den Bür­ger­rat Klima, in dem 2021 zufällig ausgewählte Bürger unter Beratung von Experten demokratisch Beschlüsse gefasst haben – nur diese fordern wir ein. Wir sagen nicht, dass die Regierung abgeschafft werden oder eine Anarchie entstehen soll. Wir sind kein Vorbild für Rechtsextreme.

Vielen erschließt sich nicht, was Blockaden auf Autobahnen mit Lebensmittelverschwendung zu tun haben. Warum blockieren Sie nicht das zuständige Agrarministerium oder Supermärkte?

Es gab ja eine Aktion auch im Landwirtschafts- und im Justizministerium. In andern Aktionen retten wir auch Lebensmittel aus der Tonne bei Supermärkten und verteilen sie dann. Aber damit bekommen wir nicht die nötige Aufmerksamkeit. Das allein bringt nicht schnell genug eine neue Klimapolitik, die wir jetzt brauchen. Wir haben nur 3 bis 4 Jahre, um den schlimmsten Klimakollaps aufzuhalten. Sonst erwärmt sich die Erde stärker als 2 Grad und wegen der Kipppunkte im Klimasystem sind wir schnell bei 3 und 4 Grad. Dann können wir die heutige Zahl Menschen gar nicht mehr ernähren. Das zeigen wissenschaftliche Studien. Wegen dieser Dringlichkeit halten wir diese Art von Protestform als Weckruf für angemessen.

Stimmt der Vorwurf von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne), Ihre Aktionen würden es schwieriger machen, Mehrheiten für mehr Klimaschutz zu bekommen?

Das glaube ich nicht. Natürlich regen sich viele über die Aktionsform auf. Aber das wird sie nicht langfristig gegen Klimaschutz aufbringen. Im Gegenteil: Bei ihnen wird ankommen, dass Menschen so viel für diesen Kampf in Kauf nehmen, und dann werden sich die Leute mehr damit beschäftigen.

Die CDU/CSU-Fraktion hat kritisiert: „Mit der Blockade von Straßen und Häfen werden unbeteiligte Bürger gefährdet. Krankenwagen müssen Umwege fahren.“ Was ist an dem Vorwurf dran?

Wir schauen immer, dass wir eine Rettungsgasse freihalten. Es kommt immer wieder vor, dass Krankenwagen im Stau stehen. Das kann man jetzt nicht auf diese Blockaden zurückführen. Umgekehrt sagen wir halt: CSU und CDU sind die, die uns die letzten Jahrzehnte in diese Situation geführt haben. Wenn die eine anständige Klimapolitik gemacht hätten in den letzten drei Legislaturperioden, dann bräuchten wir diese Aktion jetzt vielleicht gar nicht.

Können Sie erklären, welchen Sinn es ergibt, bei einer Aktion gegen Lebensmittelverschwendung große Mengen Brot und andere Lebensmittel auf den Autobahnasphalt zu kippen?

Das waren ja Lebensmittel, die aus der Tonne gerettet worden waren. Das heißt, sie waren sowieso schon im Müll, weil das momentan eben so Praxis ist. Darauf wollten wir hinweisen und das bildlich machen.

Sie haben auch versucht, den Schiffsverkehr zu blockieren. Sind Sie wirklich gegen Schiffe, die pro Tonne klimafreundlicher sind als Lastwagen?

Dabei geht es uns nicht per se um den Schiffsverkehr, sondern um das System, wie es jetzt läuft. Also zum Beispiel, wie viele Güter derzeit von China nach Europa verschifft werden. Das ist auf Dauer nicht tragbar. Verkehr insgesamt muss sich ändern, nicht nur in Richtung E-Mobilität, sondern der Verkehr und auch der Konsum muss reduziert werden. Jedenfalls, wenn wir nicht wollen, dass unsere Kinder, Enkel oder vielleicht auch wir selbst noch große Hungersnöte, Dürren, Unruhen und so weiter erleben.

Der 42-jährige Solarenergie-Ingenieur aus der Nähe von Freiburg gehört zur Klimaschutzinitiative der „Letzten Generation“. Der Familienvater hat selbst Lebensmittel aus dem Müll von Supermärkten gerettet und sich dafür der Polizei gestellt sowie Straßenblockaden als Pressesprecher begleitet.

Die durch Lebensmittelverluste verursachten Treibhausgasemissionen betragen nach Angaben des Umweltbundesamts von 2017 nur etwa 4 Prozent des gesamten deutschen Ausstoßes. Warum fokussieren Sie sich auf dieses Detail?

Wir wollten eine Frage in den Mittelpunkt stellen, bei der die Regierung direkt handeln kann. Die Energie- und die Verkehrswende sind super wichtig. Aber da redet sich die Regierung raus, das sei so schwierig und dauere. Deshalb haben wir Emissionen herausgegriffen, die halt von heute auf morgen eingespart werden können, ohne dass es wirklich jemandem schadet. Der Gesetzesentwurf liegt vor und kann direkt in den Bundestag eingebracht werden.

Aber laut Bundesagrarminis­terium fallen in Deutschland nur 4 Prozent der gesamten Lebensmittelabfälle im Handel an­. Vergeuden Sie da nicht Ihre Energie für einen nachrangigen Teilaspekt?

Ich weiß nicht, wo Herr Özdemir diese 4 Prozent herhat. Es gibt eine sehr umfassende und gu­te Stu­die des Umweltverbands WWF, die auf 14 Prozent kommt. So ganz wenig ist das nicht.

Hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) recht, wenn er sagt, Sie dürften keinen zivilen Ungehorsam ausüben, weil Sie noch nicht alle legalen Mittel wie etwa Petitionen ausgeschöpft hätten?

Das kann ich anhand meiner Person erklären: Ich habe angefangen mit der Klimathematik während meines Studiums Anfang der 2000er Jahre. Ich habe Solarenergie studiert und arbeite seitdem in dem Bereich, weil ich dachte, das bringt die Energiewende, mit der wir den Klimawandel in den Griff kriegen. Gleichzeitig sind seitdem die Emissionen weltweit jährlich gestiegen. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Wenn ich dann in 30 Jahren von meinen Kindern gefragt werde, was ich gemacht habe, soll ich dann antworten: Ich habe eine Petition eingereicht?

Was sagen Sie zu der Kritik, Ihre Bewegung würde der Gewalt Vorschub leisten, weil sie so radikal sei und das Bild einer angeblich drohenden Apokalypse zeichne?

Ich kann mir vorstellen, dass Menschen irgendwann auch zu noch drastischeren Mitteln greifen werden, wenn sie besonders verzweifelt sind. Allerdings glaube ich nicht, dass das jetzt mit uns als Bewegung zu tun hat. Wir haben uns Gewaltfreiheit auf die Fahnen geschrieben. Wir sind uns einig, dass wir letztlich irgendwann die Mehrheit der Regierung, aber auch der Bevölkerung erreichen müssen. Und das geht nicht mit Gewalt.

Julia Klöckner, die Agrarministerin der letzten Bundesregierung, die jetzt wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion ist, sagt, „Deutschland ist bereits Vorreiter beim Klimaschutz“ und „Wir müssen auch zukünftig Wachstum und Klimaschutz zusammenbringen“. Was sagen Sie dazu?

Ich habe das Gefühl, die redet da an der wissenschaftlichen Realität vorbei. Es mag sich so anfühlen heute im Alltag, dass wir alles im Griff haben. Aber wenn wir uns die Studien anschauen und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zuhören, die erforschen, wie die Welt in 30 oder 50 Jahren aussieht, kann ich so eine Aussage nicht nachvollziehen.

Sie suggerieren, in Deutschland würde bald großer Hunger ausbrechen, wenn wir die Treibhausgasemissionen nicht noch stärker als geplant reduzieren. Wie können Sie das belegen?

In südlichen Ländern gibt es schon längst Hungersnöte, die unter anderem auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Wann wir in Deutschland in einer vergleichbaren Situation sein werden, ist sehr schwer zu sagen, weil wir in einer Klimazone sind, wo wir wahrscheinlich noch länger etwas anbauen können. Und Deutschland ist ein sehr wohlhabendes Land. Das heißt, wir werden uns wahrscheinlich freikaufen. Aber wie fühlt sich das dann an, in Deutschland noch meinen Kindern etwas zu essen geben zu können, während ich weiß, zum Beispiel die Mitglieder der Familie meines Schwagers, die im westafrikanischen Togo lebt, die sterben gerade an Hunger, weil sie weniger Geld haben und es dort zu wenig Nahrungsmittel gibt?

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