Klima-Soziologe über Verhaltensänderung: „Das Glas ist mindestens halb voll“

Welche Gruppen sind bereit sich angesichts des Klimawandels zu verändern? Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung weiß es.

Eine Dorfstraße mit rauchendem Schornstein

Folgen des Klimawandels: Viele Pflanzen blühen immer zeitiger – so wie diese Hasel Foto: dpa

taz: Herr Reusswig, haben Sie gerade Lust auf Veränderung?

Fritz Reusswig: Ich würde mal sagen: Es ist ambivalent. Corona begleitet uns nun seit Jahren. Man hat schon damit genug zu tun und will nicht noch irgendwas zusätzlich machen. Auf der anderen Seite will man ja unbedingt, dass sich die Situation verändert.

Ich frage, weil sich ja ganz viel ändern muss, wenn wir unsere guten Lebensbedingungen auf der Erde erhalten wollen. Aber wenn ich so in meinen Twitter-Feed, in meinem Freundeskreis und in mich selbst reingucke, liegen bei vielen am Anfang des dritten Pandemiejahres die Nerven blank. Ist das ein schwieriger Nährboden für das, was kommen muss?

Auf jeden Fall, das ist ganz schlecht. Und es ist ja leider auch nicht das Einzige, was jetzt schwierig ist. Wir haben jetzt auch noch eine akute Kriegsgefahr in Europa. Das ist natürlich das, was im Aufmerksamkeitshaushalt und im Sorgenhaushalt der Leute an erster Stelle rangiert. Das ist ja auch ganz normal. Wenn jemand sagen würde, Krieg ist mir egal, ich kümmere mich nur ums Klima, das würde ich auch komisch finden.

Jahrgang 1958, ist Soziologe und forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Seine Schwerpunkte sind Lebensstil und Konsumentwicklung.

Sie haben die deutsche Gesellschaft gerade in einer Studie unter die Lupe genommen: Wer freut sich denn auf den Wandel in Richtung klimaneutrale Welt, wer ist skeptisch?

Nehmen wir die neue Milieutypologie des auf Milieuforschung spezialisierten Sinus-Instituts, dann sehen wir, dass sich in der gesellschaftlichen Mitte eine neue Spaltung auftut. Die bezieht sich auch nicht nur auf das Thema Klima. Da gibt es eine neue Ausdifferenzierung, ein neues Milieu, nämlich das sogenannte nostalgisch-bürgerliche Milieu. Es ist defensiv eingestellt, weil es zu viele Zumutungen auf sich zukommen sieht. Man fühlt sich von der Politik generell vernachlässigt und sieht im Klimaschutz mehr und mehr eine Bedrohung des eigenen Status. Die Aussicht auf Verhaltensänderungen geht hier mit Abstiegsängsten einher.

Oft werden ja diejenigen gegen Klimaschutz ins Feld geführt, die wenig Geld haben. Wie sieht das bei denen aus?

Das ist in erster Linie das sogenannte „prekäre Milieu“, das von sehr kleinen Einkommen oder Transferleistungen lebt. Deren Argument ist tatsächlich: Für uns ist das zu teuer. Natürlich gibt es auch da Menschen, die zum Beispiel versuchen, Bioprodukte bei Aldi zu kaufen. Aber der Großteil ist der Meinung, dass Klimaschutz was für die Reichen ist. Man muss aber auch sagen: Das sind die Zwangsklimaschützer unserer Gesellschaft. Sie haben einen sehr kleinen ökologischen Fußabdruck. Bei den wohlhabenden Milieus ist es eher andersherum, die reden viel grüner, als sie tatsächlich sind. Aber die politische Unterstützung für Klimaschutz ist bei denen eben eher da – zumindest verbal.

Hinter der Ablehnung von Klimaschutz stecken also entweder die Angst vor Statusverlust oder handfeste ökonomische Barrieren?

Nicht nur. Wir beobachten Ablehnung zum Beispiel auch beim sogenannten konsum-hedonistischen Milieu. Die haben gar nicht unbedingt viel mehr Einkommen als die Prekären, aber eine andere Lebenseinstellung, andere Präferenzen und Konsummuster. Die wollen Spaß haben. Sie haben zwar nicht viel Geld, wollen sich aber dafür Sachen kaufen oder sparen für einen Urlaub auf Mallorca. Deren Einwand gegen Klimaschutz ist: Ihr wollt uns den Spaß wegnehmen.

Und nun?

Christoph Schleer und ich haben in unserer Studie für die Wissenschaftsplattform Klimaschutz für alle Milieus Ansatzpunkte für erfolgreiche Klimapolitik identifiziert. Wichtig ist mir, dass es nicht nur um „Verkaufe“ geht. Also, es geht nicht darum zu sagen: Wir haben hier die Klimapolitik, wie sie ist, und wir stellen die jetzt einfach ein bisschen in ein anderes Licht. Wir müssen die Politik selbst verändern.

Inwiefern?

Sie haben gerade schon von „handfesten ökonomischen Barrieren“ gesprochen. Die kann man ja abbauen. Man muss zum Beispiel an klimaschädliche Subventionen ran. Die meisten Leute wissen nicht, dass ihr Steuergeld verwendet wird, um Kohle, Atom und Diesel zu fördern, was uns natürlich den Umstieg auf erneuerbare Energien erschwert. Diese Subventionen kann man dort wegnehmen und woanders hinpacken, damit es nicht für manche zu teuer wird. Dazu hat sich die neue Regierung ja auch schon bekannt. Eine soziale Ausgestaltung der CO2-Abgabe ist eine weitere wichtige Baustelle. Das Nächste wäre die finanzielle Beteiligung an den erneuerbaren Energien. In Brandenburg zum Beispiel haben vor allem große Unternehmen Windräder gebaut, die ihren Sitz ganz woanders haben.

Das heißt, den ostdeutschen Kommunen entgehen die Gewerbesteuereinnahmen.

Ja. Dabei braucht gerade der ländliche Raum mehr Mittel für die Kita und andere öffentliche Infrastruktur. Wenn es das nicht gibt, muss man sich nicht wundern, wenn die Leute sagen: Warum soll ich für so einen Ausbau sein?

Geld kann man verhältnismäßig leicht schöpfen, ausschütten oder umverteilen, wenn man das will – aber wie klärt man die Spaßfrage?

Es stimmt, bei den Konsum-Hedonistischen gehen wir davon aus, dass man eher wenige erreichen kann, aber wir halten es auch nicht für völlig aussichtslos. Wir betonen zum Beispiel die Folgen des Klimawandels. Die haben ja schließlich auch ein nicht unerhebliches Spaßbremsen-Potenzial. Auf Mallorca etwa wird es schnell zu heiß und zu trocken. Das ist übrigens ein Milieu, das prinzipiell offen ist für Neues. Da kann man vielleicht auch mal überlegen: Was sind denn neue Sachen, die Spaß machen könnten, bei der ganzen Klimaschutz-Angelegenheit?

Lassen Sie uns auch noch über die reden, die schon bereit sind für den Wandel. Die gibt es doch auch, oder?

Das ist einerseits das postmaterielle Milieu, was ganz stark mit ethischer Verantwortung argumentiert. Wenn Sie so wollen, ist das die klassische grüne Wählerklientel. Und dann gibt es noch ein komplett neues Milieu, das finde ich faszinierend. Das ist das neoökologische Milieu, sehr junge Leute, Party und Protest. Das ist das soziale Unterfutter der Fridays-for-Future-Generation. Und dann würde ich noch das expeditive Milieu dazuzählen, das ist sehr mobil, international stark vernetzt. Die sind zwar eigentlich mehr an Kultur und Kunst interessiert als an Klima, aber die beeindruckt die globale Perspektive beim Klimaschutz, das Nichtprovinzielle.

Ah, sind wir jetzt bei den Wohlhabenden mit den immensen CO2-Emissionen angekommen?

Viele von denen haben einen hohen CO2-Fußabdruck, aber eben auch ein schlechtes Gewissen und jede Menge Geld, etwa für grüne Geldanlagen oder kommunale Projekte. Und es sind wichtige Influencer in unserer Gesellschaft. In letzter Zeit engagiert sich die Kulturszene stark für den Klimaschutz, das halte ich für wichtig.

Und wer ist in der Überzahl: die Genervten oder die Antreibenden?

Interessanterweise machen die bremsenden und die unterstützenden Milieus, die ich gerade genannt habe, zusammen jeweils etwa 30 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Es hält sich also ungefähr die Waage. Das Gesellschaftsglas ist also mindestens halb voll, die Politik muss ihm „nur“ die richtigen Töne entlocken. Sorry für das schiefe Bild – aber unsere Studie befasst sich nun mal mit Resonanz.

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